Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Aussetzung der Vollziehung von ErbSt-Bescheiden aufgrund verfassungsrechtlicher Zweifel
Leitsatz (redaktionell)
1) Eine Aussetzung der Vollziehung aufgrund ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der dem angegriffenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift ist nur bei Vorliegen eines besonderen rechtlichen Aussetzungsinteresses des Steuerpflichtigen zu gewähren.
2) Ein Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung angefochtener Erbschaftsteuerbescheide aufgrund formeller und materieller verfassungsrechtlicher Bedenken und anhängigen Verfassungsbeschwerden besteht nicht.
Normenkette
GG Art. 20, 72, 76-78, 82, 105, 125a; FGO § 69
Tatbestand
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der gegen die Antragstellerin ergangene Erbschaftsteuerbescheid im Hinblick auf die gegen das Erbschaftsteuerreformgesetz erhobenen formellen und materiellen verfassungsrechtlichen Bedenken und anhängigen Verfassungsbeschwerden von der Vollziehung auszusetzen ist.
Die Antragstellerin ist neben ihren drei weiteren Geschwistern zu gleichen Teilen Erbin nach ihrer am …2009 verstorbenen Tante, Frau K.
Insoweit wird Bezug genommen auf den gemeinschaftlichen Erbschein des Amtsgerichts P vom …12.2009 zum Aktenzeichen ….
Unter Berücksichtigung des vom Antragsgegner ermittelten Gesamtnachlasses von 217.203 EUR und einem entsprechend ihrer Erbquote von ¼ auf sie entfallenden Erwerbs durch Erbanfall in Höhe von 54.300 EUR erging gegenüber der Antragstellerin am 25.03.2010 ein unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehender erstmaliger Erbschaftsteuerbescheid, der unter Berücksichtigung des Freibetrages in Höhe von 20.000 EUR und eines Steuersatzes von 30 % zu einer festzusetzenden Steuer in Höhe von 10.050 EUR gelangte.
Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 29.03.2010 Einspruch ein, den sie u. a. damit begründete, dass der Ansatz eines Steuersatzes von 30 % nicht gerechtfertigt sei. Bekanntlich sei der für sie maßgebliche Steuersatz der Steuerklasse II durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22.12.2009 (BGBl. I S. 3950) zum 01.01.2010 von 30 % auf 15 % gesenkt worden. Es sei willkürlich und nicht nachvollziehbar, warum diese Vergünstigung erst zum 01.01.2010 in Kraft getreten sei und Altfälle nicht mit in diese Neuregelung einbezogen worden seien. Insoweit liege eine Verletzung des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) durch den Gesetzgeber vor.
Es sei zwar verständlich, dass der Gesetzgeber die im Jahre 2009 bereits abgeschlossenen Sachverhalte nicht habe neu regeln wollen. Unverständlich sei jedoch die Nichteinbeziehung schwebender Verfahren. Jedenfalls für Fälle, in denen der Erbschaftsteuerbescheid in 2009 noch nicht bestandskräftig geworden sei, geschweige denn überhaupt noch nicht erlassen worden sei, wie in ihrem Fall, sei die Nichteinbeziehung in die Neuregelung zum 01.01.2010 nicht verständlich.
Mit Schreiben vom 31.05.2010 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass das anhängige Einspruchsverfahren gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO von Gesetzes wegen ruhe. Zur Begründung wies der Antragsgegner darauf hin, dass die dem Einspruch der Antragstellerin zugrunde liegenden streitigen Rechtsfragen gerichtlich in mehreren beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Musterverfahren (Az.: 1 BvR 3196, 3197 und 3198/09) geprüft würden.
Aus für das vorliegende Verfahren nicht weiter bedeutsamen Gründen wurde der Erbschaftsteuerbescheid gegenüber der Antragstellerin am 04.06.2010 gemäß § 164 Abs. 2 AO dahingehend geändert, dass die Erbschaftsteuer auf 8.940 EUR herabgesetzt wurde.
Der geänderte Bescheid wurde zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Der Differenzbetrag wurde der Antragstellerin erstattet.
Am 01.07.2010 wurde der weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Erbschaftsteuerbescheid erneut gemäß § 164 Abs. 2 AO geändert. Die Erbschaftsteuer wurde nunmehr auf 10.890 EUR heraufgesetzt. Der geänderte Bescheid wurde zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Die Antragstellerin wurde aufgefordert, den sich nunmehr zu ihren Lasten ergebenden Nachzahlungsbetrag in Höhe von 1.950 EUR bis zum 05.08.2010 zu zahlen.
Daraufhin beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner am 14.07.2010 die Aussetzung der Vollziehung des geänderten Erbschaftsteuerbescheids vom 01.07.2010.
Im Rahmen ihres Antrags auf Aussetzung der Vollziehung machte die Antragstellerin geltend, dass es im vorliegenden Rechtsbehelfsverfahren darum gehe, welcher Steuersatz auf ihren Erbfall anzuwenden sei, derjenige von 30 % oder der von 15 %. Insoweit habe sie die Verletzung des Artikel 3 Abs. 1 GG gerügt. Zusätzlich machte sie nunmehr geltend, dass ihr Einspruch auch dadurch begründet sei, dass das zum 01.01.2009 in Kraft getretene Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24.12.2008 (BGBl. I S. 3018) auf einer verfassungswidrigen Ermächtigungsnorm beruhe. Es verstoße mithin sowohl formell als auch materiell gegen das Grundgesetz.
Insoweit seien bekanntlich drei Verfassungsbeschwerden gegen dieses Gesetz vor dem Bundesverf...