rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung von § 138 Abs. 1 und Abs. 2 FGO; Abgrenzung von Rückbewirkung von Rechtsfolgen (echte Rückwirkung) und tatbestandlicher Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung)

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Abgesehen von dem Fall der Untätigkeitsklage ist § 138 Abs. 1 FGO nur in Verfahren aufgrund von Anfechtungsklagen anwendbar.

2) § 52 Abs. 55j EStG i.d.F. des JStG 2007 ist wegen Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot mit dem Grundgesetz insoweit unvereinbar, als die Vorschrift den Anwendungsbereich des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. des JStG 2007, der die Amtsveranlagung auf Fälle positiver Einkünfte von über 410,00 begrenzt, auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 erweiterte.

 

Normenkette

FGO § 138 Abs. 2; EStG § 46 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 55j; FGO § 138 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Beteiligten haben übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem der Beklagte den streitgegenständlichen Ablehnungsbescheid im Anschluss an die – rückwirkende – Aufhebung der Zweijahresfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG zur Durchführung der Einkommensteuerveranlagung (Art. 1 Nr. 30 Buchst. w i.V.m. Art. 1 Nr. 37 Buchst. m1 des Jahressteuergesetzes 2008 vom 20. Dezember 2007 – JStG 2008 –, BGBl I 2007, 3150/3157) aufgehoben und sich zu einer Durchführung der begehrten Einkommensteuerveranlagung verpflichtet hatte. Deshalb war nunmehr gemäß § 138 FGO durch Beschluss über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.

I. Keine Anwendung findet im Streitfall allerdings die Vorschrift des § 138 Abs. 2 FGO, die eine Kostentragung durch die beklagte Behörde vorsieht, soweit ein Rechtsstreit dadurch erledigt wird, dass dem Antrag des Steuerpflichtigen durch Rücknahme oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts stattgegeben wird. Denn § 138 Abs. 2 FGO ist – abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall der Untätigkeitsklage – nur in Verfahren aufgrund von Anfechtungsklagen anwendbar (BFH-Beschluss vom 28. April 1992 VII B 48/92, BFH/NV 1993, 320; Gräber/Ruban, FGO, 6. Aufl., § 138 Rz. 32). Im Streitfall geht es hingegen um die Verpflichtung der beklagten Behörde zur Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung (Verpflichtungsklage).

II. Die Kostenentscheidung ist deshalb nach § 138 Abs. 1 FGO zu treffen. Danach hat das Gericht nach billigem Ermessen über die Auferlegung der Kosten zu entscheiden, wobei der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. Hierbei ist der mutmaßliche Ausgang des Verfahrens ohne das erledigende Ereignis zu berücksichtigen (BFH-Beschluss vom 28. April 1992 VII B 48/92, BFH/NV 1993, 320). Vor diesem Hintergrund hält es der beschließende Senat für angemessen, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, da der Klage ohne das erledigende Ereignis der Erfolg nicht zu versagen gewesen wäre. Denn die Vorschrift des § 52 Abs. 55j EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 43 Buchst. w JStG 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878/2887, BStBl I 2007, 28/37), auf welche der Beklagte die ursprüngliche Ablehnungsentscheidung geschützt hatte, war insoweit mit dem Grundgesetz unvereinbar, als sie den Anwendungsbereich des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 39 des JStG 2007 (BGBl I 2006, 2878/2885, BStBl I 2007, 28/35), der die Amtsveranlagung auf Fälle positiver Einkünfte von über 410 EUR begrenzt, auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 erweiterte (Verstoß gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot).

1. Gesetzliche Regelung und Rechtsentwicklung

a) Inhalt der gesetzlichen Regelung

Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt. Nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG wird die Veranlagung durchgeführt, wenn sie beantragt wird (Antragsveranlagung). Der Antrag war gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen. Eine zwingende Veranlagung von Amts wegen unabhängig von der Erklärungsabgabe innerhalb der Zweijahresfrist (Amtsveranlagung) war hingegen u. a. nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG in der für das Streitjahr 2000 geltenden Fassung in den Fällen vorgesehen, in denen die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterworfen war, …, jeweils mehr als 800 DM betrug (zur Rechtsentwicklung im Einzelnen vgl. die dezidierte Darstellung in den Vorlagebeschlüssen des BFH vom 22. Mai 2006 VI R 49/04, BFHE 213, 508, BStBl II 2006, 808 und VI R 46/05, BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820).

Nachdem der BFH mit Urteilen vom 21. September 2006 VI R 47/05 (BFHE 215, 149, BStBl II 2007, 47) und VI R 52/04 (BFHE 215, 144, BStBl II 2007, 45) die Voraussetzungen einer Amtsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG (nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfene Einkünft...

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