Entscheidungsstichwort (Thema)

Grenzüberschreitende Betriebsprüfung, Informationsweitergabe, Steuergeheimnis, Unterlassungsanspruch, voraussichtliche Erheblichkeit für die Besteuerung, Subsidiarität

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Eine gleichzeitige wie auch eine gemeinsame EU-grenzüberschreitende Betriebsprüfung i.S.d. §§ 10, 11, 12 EUAHiG und der damit verbundene Informationsaustausch zwischen den Steuerbehörden sind gemäß § 117 AO zulässig, wenn die zu prüfenden Umstände für die Besteuerung voraussichtlich erheblich sind.

2) Für die Besteuerung voraussichtlich erhebliche Umstände sind gegeben, wenn sich die grenzüberschreitende Prüfung bezieht auf die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben, den Abgleich von Verrechnungskonten, die Prüfung von grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen und deren Verbuchung im In- und Ausland sowie die Prüfung von Verträgen mit ausländischen Anteilseignern bzw. Geschäftsführern.

3) Der aus § 6 Abs. 3 EUAHiG folgende Grundsatz der Subsidiarität des grenzüberschreitenden Amtshilfeersuchens ist gewahrt, wenn die nationalen Steuerbehörden die grenzüberschreitenden Geschäftsvorfälle nicht abschließend prüfen können.

 

Normenkette

AO § 117 Abs. 1, Abs. 2; BGB § 1004 Abs. 1 S. 1 analog, Abs. 2 analog; EUAHiG §§ 4, 6 Abs. 3, §§ 10-11, 12 Abs. 1; AO § 30 Abs. 4 Nrn. 1-2

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes um die Berechtigung des Antragsgegners bzw. des Betriebsprüfungsfinanzamts, an einer koordinierten grenzüberschreitenden steuerlichen Außenprüfung mitzuwirken und hierbei mit der österreichischen Steuerverwaltung die Antragstellerinnen betreffende Informationen auszutauschen.

Die Antragstellerinnen sind Gesellschaften der sog. W-Unternehmensgruppe, deren Geschäftsgegenstand der Immobilienhandel bzw. die Immobilienverwaltung sind. Gesellschafter der Antragstellerinnen sind Frau W1 sowie – nach Angaben der Antragstellerinnen – Herr W bzw. – nach Angaben des Antragsgegners – auch Herr W2.

Mit Schreiben vom 18. Oktober 2016 (Bl. 1 der vom Antragsgegner geführten Verwaltungsakte –VA– betreffend die Antragstellerin zu 1.) wandte sich die österreichische Steuerverwaltung an den Antragsgegner mit dem Vorschlag, eine sog. Multinationale Kontrolle bei Unternehmen der W-Gruppe bezüglich Einkommensteuer, Körperschaftsteuer sowie Kapitalertragsteuer aus vermuteten verdeckten Gewinnausschüttungen jeweils für die Prüfungszeiträume 2006 bis 2014/2015 durchzuführen. In den Erläuterungen hierzu führte die österreichische Steuerverwaltung unter anderem aus, dass die zentrale Figur innerhalb des „W Imperiums” Herr W sen. sei und dessen … Kinder als Gesellschafter und/oder Geschäftsführer bei verschiedenen Unternehmen eingesetzt seien. Daneben würden Ehepartner bzw. Lebensgefährtinnen von Herrn W sen. oder dessen Kinder leitende Funktionen innerhalb der Unternehmensgruppe ausüben. Die Familie W nutze insbesondere die Grenznähe, gründe vorwiegend GmbHs in Österreich und Deutschland, erwerbe über diese Gesellschaften Liegenschaften in Deutschland und belaste diese mit Grundschulden. Die vereinnahmten Gelder würden oftmals nicht betrieblich verwendet, sondern gelangten über Verrechnungskonten verbundener Unternehmen letztendlich auf Privatkonten der Familie W. Beispielhaft wurde ein Sachverhalt beschrieben, wonach eine österreichische GmbH im Jahre 2006 ein Grundstück an der Ostsee erworben und dieses im Jahre 2012 mit einem Rohgewinn von ca. … € an einen deutschen Investor verkauft habe. Die Geldflüsse seien über österreichische und deutsche Bankkonten unter Zwischenschaltung einer deutschen GmbH erfolgt. Bislang seien im Hinblick auf diesen Vorgang jedoch keine Gewinnsteuern erklärt oder bezahlt worden. Neben dem Erwerb und Verkauf von Liegenschaften würden jedoch auch durch deren Vermietung steuerpflichtige Vorgänge ausgelöst. Ohne Mitwirkung der deutschen Finanzverwaltung könnten die hieraus erzielten Einnahmen nicht korrekt ermittelt und die mit dem Grundstücksgeschäft zusammenhängenden Geldflüsse nicht nachvollzogen werden (vgl. Bl. 2 der VA).

Daraufhin fand am 2. November 2016 – ohne vorherige Anhörung der Antragstellerinnen und nach Entscheidung des für die Betriebsprüfung bei den Antragstellerinnen zuständigen Finanzamts G – unter Teilnahme von Vertretern sowohl der österreichischen als auch der deutschen Finanzverwaltung eine sog. Startsitzung (Auswahlsitzung) statt, bei der beschlossen wurde, bei insgesamt zehn deutschen Unternehmen, u.a. den Antragstellerinnen, sowie bei österreichischen Unternehmen der W-Gruppe eine gleichzeitige Betriebsprüfung durchzuführen. Zum weiteren Gang der Prüfung wurde ausweislich des Protokolls zur Startsitzung vom 2. November 2016 (Bl. 4 der VA) vereinbart, dass durch das Finanzamt G entsprechende Prüfungsanordnungen zu erlassen und sodann Anhörungsverfahren im Hinblick auf die beabsichtigte Betriebsprüfung durchzuführen seien (vgl. Bl. 5 der VA).

Das Finanzamt G informierte die Antragstellerinnen jeweils mit Schreiben ...

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