Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Vorsteuervergütung; Ablehnung eines erneuten Antrags aufgrund materieller Bestandskraft des ersten Antrages
Leitsatz (redaktionell)
1. Der gleiche Vergütungszeitraum wie der im ersten Antrag ist auch Gegenstand des wiederholten Antrags auf Vorsteuervergütung. Der Sachverhalt ist insoweit identisch. Die Vorlage fehlender Rechnungen im zweiten Antrag führt nicht dazu, dass es sich um einen anderen Sachverhalt handelt. Die mangelnde Vorlage der Rechnungen im ersten Antrag ist kein Sachverhaltselement, sondern lediglich der Nachweis für den Sachverhalt, nämlich die begehrte Vorsteuer.
2. Die Bestandskraft von Vergütungsbescheiden und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen verstoßen nicht gegen EU-Recht. Aus Art. 23 Abs. 2 Satz 1 der 11. RL ergibt sich, dass sich der Rechtsschutz gegen ablehnende Vergütungsbescheide nach dem nationalen Verfahrensrecht richtet.
Normenkette
UStDV §§ 59 ff; RL 2008/9/EG Art. 23 Abs. 2; AO § 118; UStG § 18 Abs. 9
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob es der sachlichen Bescheidung eines innerhalb der Antragsfrist gestellten zweiten Antrages auf Vorsteuervergütung entgegensteht, dass über einen ersten Antrag bereits durch bestandskräftigen Bescheid entschieden wurde.
Die Klägerin ist ein in Großbritannien ansässiges Unternehmen.
Am 1. Februar 2012 (Posteingangsdatum) stellte die Klägerin beim Beklagten über das britische Inlandsportal einen Antrag auf Vergütung von Vorsteuern im Rahmen des besonderen Verfahrens nach § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59 ff. UStDV für den Vergütungszeitraum 10-12/2011 i.H.v. 113.136,42 €. Dem Antrag waren nicht die eingescannten Originalrechnungen beigefügt.
Der Beklagte lehnte den Vorsteuervergütungsantrag mit Bescheid vom 21. Mai 2012 ab. Es ist streitig, ob der Klägerin zuvor das Hinweisschreiben des Beklagten vom 27. März 2012 zugegangen ist.
Am 1. August 2012 stellte die Klägerin über das britische Inlandsportal einen weiteren Antrag auf Vorsteuervergütung für den Vergütungszeitraum 10-12/2011 i.H.v. 113.136,42 €, der die gleichen Rechnungen des Antrags vom 1. Februar 2012 zum Gegenstand hatte. Diesem Antrag waren die eingescannten Originalrechnungen beigefügt.
Der Beklagte erfasste diesen Antrag als Einspruch gegen den Bescheid vom 21. Mai 2012.
Am 27. September 2012 stellte die Klägerin einen weiteren Antrag auf Vorsteuervergütung für den Zeitraum 10-12/2011 i.H.v. 113.136,42 €, der die gleichen Rechnungen wie der Antrag vom 1. Februar 2012 zum Gegenstand hatte.
Nachdem die Beteiligten sich im parallel geführten Klageverfahren 2 K 794/13 darüber gestritten hatten, ob es sich bei dem Antrag vom 27. September 2012 um einen eigenständigen, separat zu entscheidenden Antrag oder um einen Nachtrag im Einspruchsverfahren handele, lehnte der Beklagte den Antrag schließlich mit Bescheid vom 25. Juli 2014 ab und führte zur Begründung an, dass der Antrag auf Änderung des vorhergehenden Bescheids vom 21. Mai 2012 erst nach Ablauf der Einspruchsfrist eingegangen sei. Gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AO könne dem Antrag daher nicht entsprochen werden. Gründe für die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht gegeben.
Der Bescheid vom 25. Juli 2014 wurde an die Klägerin per E-Mail an die E-Mail-Adresse B@…com gesendet. Daraufhin erhielt der Beklagte die automatische Fehlermeldung, dass die E-Mail-Adresse nicht habe gefunden werden können. Am 28. Juli 2014 übersandte der Beklagte der Klägerin den Bescheid per E-Mail an die E-Mail-Adresse A@…com und am 17. Oktober 2014 per E-Mail an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, für die bereits bei Erlass des Bescheides eine Bekanntgabe/Empfangsvollmacht bestand.
Hiergegen legte die Klägerin am 5. November 2014 Einspruch ein. Der Bescheid sei ihr erst durch Übersendung an ihren Prozessbevollmächtigten zugegangen. Die vorherige elektronische Bekanntgabe gegenüber ihr persönlich setze mangels wirksamer Bekanntgabe die Einspruchsfrist nicht in Lauf, da die von ihr erteilte Bekanntgabe/Empfangsvollmacht zu Gunsten ihres Bevollmächtigten ohne besondere Gründe nicht beachtet worden sei (vgl. AEAO zu § 122, Nr. 1.7.3. Satz 1).
In der Sache machte die Klägerin im Einspruchsverfahren geltend, dass ihr Antrag vom 27. September 2012 keinen Antrag auf Änderung des Vergütungsbescheides vom 21. Mai 2012 darstelle, sondern dass es sich um einen erstmaligen ordnungsgemäßen (zulässigen und wirksamen) Antrag auf Vorsteuervergütung für den Vergütungszeitraum 10-12/2011 handele.
Mit Einspruchsentscheidung vom 12. Mai 2015 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte an, dass der als Antrag auf Änderung des Bescheides vom 21. Mai 2012 zu wertende Antrag bei ihm am 27. September 2012 und damit nach Ablauf der Einspruchsfrist eingegangen sei. Mit Erlangung der formellen Bestandskraft mit Ablauf des 25. Juni 2012 sei der Bescheid vom 21. Mai 2012 nicht mehr anfechtbar gewesen und habe auch nicht mehr nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO geändert werden...