Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit, Auslegung § 62 Abs. 2 EStG i.d.F. JStG 1996, Anwendung § 62 Abs. 2 EStG i.d.F. AuslAnsprG
Leitsatz (redaktionell)
1.) Eine Klage, mit der die Verurteilung der Behörde zur Gewährung von Kindergeld begehrt wird, ist auch für die Monate nach Bekanntgabe der letzten Verwaltungsentscheidung zulässig (gegen FG Niedersachsen, Urt. v. 23.01.2006, 16 K 12/04, EFG 2006, 751).
2.) § 62 Abs. 2 EStG i.d.F. des JStG 1996 ist vor dem Hintergrund des Beschlusses des BVerfG vom 06.07.2004 (1 BvL 4/97, 5/97 und 6/97, BVerfGE 111, 160) zu § 1 Abs. 3 BKGG i.d.F. des 1. SKWPG vom 21.12.1993 (BGBl. I 1993, 2353) entgegen seinem Wortlaut dahin auszulegen, dass der Ausschluß von Ausländern von der Kindergeldberechtigung nicht für solche ausländischen Eltern gilt, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens einem Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten.
3.) Die durch § 52 Abs. 61a S. 2 EStG angeordnete rückwirkende Anwendung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG durch das AuslAnsprG vom 13.12.2006 (BGBl. I 2006, 2915) zum 01.01.2006 auf noch nicht bestandskräftig festgesetzte Kindergeldansprüche ist verfassungsrechtlich unzulässig (gegen BFH-Urteil vom 15.03.2007, III R 93/03).
Normenkette
EStG § 62 Abs. 2, § 52 Abs. 61a S. 2
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Kindergeld für seine Kinder U (geb. 14.2.1993), A (13.7.1994), N (30.1.1996) und H (19.5.1998) zusteht. Die Kinder lebten unstreitig zumindest bis Mai 2004 im Haushalt des Klägers im Inland. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung konnte nicht geklärt werden, ob der Kläger und seine Kinder sich auch danach noch in Deutschland aufhalten. Der Bevollmächtigte teilte mit, dass er seit Mai 2004 keinen Kontakt mehr zum Kläger gehabt habe. Erst nach Verkündung des Urteils hat der Bevollmächtigte die neue Adresse des Klägers mitgeteilt, ohne dass klar ist, ob der Kläger und seine Kinder sich dort aufhalten.
Der Kläger, dessen Staatsangehörigkeit ungeklärt ist, gehört zum Volk der Palästinenser und lebt seit 1992 in Deutschland. Er verfügte über eine Aufenthaltsbefugnis, die öfters verlängert wurde. Nach eigenen Angaben ist er Staatenloser und war zumindest bis Mai 2004 sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Der Kläger beantragte am 7.7.2000 Kindergeld für die vorgenannten Kinder. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Verfügung vom 21.8.2000 ab. Dabei handelte es sich um die erstmalige Ablehnung eines Kindergeldantrags. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 10.4.2001 zurück.
Mit der Klage beantragt der Kläger,
die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 7.7.2000 und der Einspruchsentscheidung vom 10.4.2001 zu verpflichten,
Kindergeld für drei Kinder ab dem 1.7.1997 und ab Mai 1998 für vier Kinder bis einschließlich Dezember 2004 zu gewähren und ab Januar 2005 über den Kindergeldanspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist insgesamt zulässig, allerdings nur für den Zeitraum Juli 1997 bis Mai 2004 begründet. Dem Kläger steht für diesen Zeitraum das beantragte Kindergeld zu, weil seine Ausweisung auf unbestimmte Zeit nicht möglich ist und er sich seit über einem Jahr berechtigt in der BRD aufhält.
I. Die Klage ist nicht nur hinsichtlich des Kindergelds für die Monate bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung zulässig, sondern auch hinsichtlich der darauf folgenden Monate. Obwohl die Einspruchsentscheidung, mit der die Ablehnung des Kindergeldanspruchs bestätigt wurde, im April 2001 bekanntgegeben worden ist, hält das Gericht entgegen der Ansicht des Niedersächsischen FG im Urteil vom 23. Januar 2006 16 K 12/04 (EFG 2006, 751) eine Klage, mit der die Verurteilung der beklagten Behörde zu Gewährung von Kindergeld begehrt werden soll, auch für die Monate nach Bekanntgabe der letzten Verwaltungsentscheidung für zulässig.
a) Das Niedersächsische FG hält in seinem Urteil vom 23. Januar 2006 eine Klage gegen einen die Festsetzung von Kindergeld ablehnenden Bescheid für insoweit unzulässig, als sich der Klageantrag auch auf die Monate nach der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids erstreckt. Dabei geht es unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 28. Januar 2004 VIII R 12/03 (BFH/NV 2004, 786) von der These aus, dass der Regelungsgehalt eines Bescheides, durch den ein Kindergeldantrag abgelehnt wird, lediglich den Zeitraum bis einschließlich des Monats der Bekanntgabe erfasse. In diesem BFH-Urteil heißt es zwar einerseits ausdrücklich, dass ein Bescheid, durch den ein ohne ausdrückliche zeitliche Beschränkung gestellter Kindergeldantrag abgelehnt wird, den Anspruch auf Kindergeld nur für den bis dahin abgelaufenen Zeitraum regelt und keine Regelungswirkung für künftige, bei Bescheiderlass noch nicht entstanden...