Entscheidungsstichwort (Thema)
Erneuter (zweiter) Erstattungsantrag
Leitsatz (redaktionell)
Der sachlichen Bescheidung eines zweiten Antrags auf Erstattung von Kapitalertragsteuer steht die Bestandskraft der Entscheidung über einen ersten Antrag entgegen.
Normenkette
AO §§ 118, 355; EStG § 50d Abs. 1
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der sachlichen Bescheidung eines zweiten Antrages auf Kapitalertragsteuererstattung die Bestandskraft der Entscheidung über einen ersten Antrag entgegensteht.
Der Kläger ist in den USA ansässig. Im Jahre 2008 und 2009 bezog er über die A Bank (Schweiz) aus einem Wertpapierdepot bei der G Bank Dividenden aus Beteiligungen an verschiedenen deutschen Kapitalgesellschaften. Für diese Dividenden wurde Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt.
Mit Antrag vom 12. Oktober 2009 (Posteingangsdatum) begehrte der Kläger bezüglich dieser Dividenden die (Teil-)Erstattung von Kapitalertragsteuer i.H.v. 70.510,05 €. Der Antrag erfolgte ausdrücklich für den Kläger. Die dem Antrag beigefügten Ansässigkeits-Bescheinigungen („Formular 6166”) wiesen als steuerpflichtige Anteilseigner aus:
- B Trust – TIN 1
- C Trust – TIN 2
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 4. Februar 2010 ab. Zur Begründung führte er an, dass der Kläger keine ordnungsgemäße, auf ihn ausgestellte Ansässigkeitsbescheinigung (Formular 6166) vorgelegt habe.
Am 8. November 2010 (Posteingangsdatum: 12. November 2010) stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Erstattung von Kapitalertragsteuer bezüglich der gleichen Kapitalerträge wie im Antrag vom 12. Oktober 2009. Dem Antrag war eine Bescheinigung (Formular 6166) mit Ausstellungsdatum vom 1. November 2010 beigefügt, welche dem Kläger eine Ansässigkeit in den USA bestätigt.
Mit Bescheid vom 31. März 2011 wurde der Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass die Kapitalerträge bereits Gegenstand des Antrages vom 12. Oktober 2009 gewesen seien. Gegen den hierzu ergangenen Bescheid sei kein Einspruch eingelegt worden. Die erneute Einreichung des Erstattungsantrags könne wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses nicht zu einer anderweitigen Entscheidung führen.
Nach erfolgloser Durchführung des Einspruchsverfahrens trägt der Kläger zur Begründung seiner Klage vor, dass die sachlichen Voraussetzungen für eine Erstattung von Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 EStG vorliegen würden.
Der erste Ablehnungsbescheid stehe einer Entscheidung über einen zweiten, auf neuer Tatsachengrundlage beruhenden Antrag nicht entgegen. Denn die materielle Bestandskraft des ersten Bescheides vom 4. Februar 2011 erfasse nur dessen Regelungsgehalt, der sich insbesondere auch nach dem zu Grunde gelegten Sachverhalt richte. Dieser wiederum sei maßgeblich durch die Anträge bestimmt, die allerdings jeweils verschiedene Sachverhalte betreffen würden.
Entscheidend sei insoweit der Umfang der materiellen Bestandskraft. Dieser sei in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht beschränkt (z.B. Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 53; Söhn, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 118 AO Rn 370 ff.). Der konkrete Umfang sei durch Auslegung zu ermitteln. Dafür sei maßgeblich, wie der Adressat des Verwaltungsakts diesen bei verständiger Würdigung der Umstände habe verstehen dürfen (Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185, 190; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 43). Insbesondere gegenüber zukünftigen Änderungen der Sach- und Rechtslage lasse sich die Tragweite des Verwaltungsakts nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Gründe ermitteln. Dies gelte – weil der Tenor allein nicht aussagekräftig sei – in besonderem Maße für ablehnende Bescheide (Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 32; Ramsauer, in Kopp/Ramsauer, VwVfg, § 43 Rn. 32). Nach der Rechtsprechung des BFH sei dabei im Zweifel eine dem Steuerpflichtigen günstige Auslegung eines Verwaltungsaktes zu wählen (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juli 2011 – II R 7/10, BFH/NV 2011, 1835).
Angesichts dessen entfalte der erste Ablehnungsbescheid keine Sperrwirkung gegenüber der begehrten, erneuten Entscheidung. Die im Ablehnungsbescheid vom 4. Februar 2010 enthaltene Regelung sei allein auf der Grundlage des im Oktober 2009 gestellten Antrags ergangen, der die nicht auf den Kläger lautenden Bescheinigungen enthalten habe. Dies folge schon aus dem Wortlaut des Bescheides wie folgt:
„Bescheid über die Freistellung und Erstattung von deutschen Abzugsteuern vom Kapitalertrag […] aufgrund ihres Antrags, eingegangen am 12. Oktober 2009 […].”
Hieraus folge, dass sich auch die Regelungswirkung auf die Entscheidung über den konkreten Antrag beschränke. Der Beklagte habe seine Entscheidung auf die Sachlage, wie sie sich aufgrund der mit dem ersten Antrag vorgelegten Bescheinigungen dargestellt habe, beschränkt. Denn wenn die für eine Antragsbearbeitung erforderlichen Angaben oder Nachweise nicht erbracht worden seien, dann könne über sie auch nicht entschieden worden sein.
Dies werde durch die Auslegung des ersten Bescheids belegt. Aus Sicht des objektiven...