Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen bei Kindergeldbescheid innerhalb des Prognosezeitraums noch möglich, außerhalb des Prognosezeitraums aber nicht
Leitsatz (redaktionell)
Hat die Familienkasse innerhalb des für die kindergeldschädlichen Einkünfte des Kindes laufenden Prognosezeitraums die Gewährung des Kindergelds letztmalig abgelehnt, ist eine Korrektur aufgrund von § 70 Abs. 4 EStG wegen der BVerfG-Entscheidung vom 11.1.2005 - 2 BvR 167/02, die die Sozialversicherungsbeiträge abziehbar stellt, gleichwohl noch möglich. Dies gilt nicht für Veranlagungszeiträume, bei denen die bestandskräftige Ablehnung erst nach deren Ablauf ergangen ist.
Normenkette
EStG § 70 Abs. 4; AO 1977 § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EStG § 32 Abs. 4 S. 2
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist das Kindergeld für die Tochter L der Klägerin für den Zeitraum Januar 2003 bis April 2004.
Die am 00.00.1982 geborene Tochter der Klägerin befand sich seit dem 1.9.2002 bis 24.1.2005 in Ausbildung zur Industriekauffrau. Mit Bescheid vom 7.4.2004 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kindergeld für den Zeitraum 1.1.2004 bis 31.12.2004 ab, da nach der von der Beklagten durchgeführten Prognose die maßgebliche Einkommensgrenze von 7.680 EUR (§ 32 Abs. 4 S. 2 EStG) überschritten werde. Mit weiterem Bescheid vom 4.5.2004 lehnte die Beklagte auch die Festsetzung von Kindergeld für das Jahr 2003 wegen Überschreitung des Jahresgrenzbetrages ab. Mit Schreiben vom 12.12.2005 legte die Klägerin Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 4.5.2004 ein. In diesem Schreiben bat sie zugleich um Überprüfung, ob ihr für das Jahr 2004 ebenfalls noch Kindergeld zustehe.
Die Beklagte lehnte sowohl eine Korrektur des Ablehnungsbescheids vom 4.5.2004 für das Jahr 2003 als auch eine Korrektur für den Zeitraum Januar 2004 bis April 2004 ab (Bescheide vom 19.12.2004 – Bl. 86 – 90 der KiG-Akte). Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 16.1.2006 Einspruch ein. Zur Begründung berief sie sich auf das Urteil des BVerfG vom 11.1.2005. Unstreitig würde die Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge die in § 32 Abs. 4 S. 2 EStG Jahreseinkünftegrenze unterschreiten.
Die Beklagte wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 6.2.2006 als unbegründet mangels Änderungsnorm zurück.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren – Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar 2003 bis April 2004 – weiter. Nach ihrer Ansicht können die Ablehnungsbescheide vom 4.5.2004 und 7.4.2004 nach § 70 Abs. 4 EStG geändert werden. Im vorliegenden Fall seien nachträglich der tatsächliche Anfall und die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge bekannt geworden, die nach der Entscheidung des BVerfG vom 11.1.2005 bei der Berechnung der Einkunftsgrenze zu berücksichtigen seien. Neben der Verpflichtung zur Anpassung der Kindergeldbescheide an die tatsächlichen Verhältnisse ergebe sich die Notwendigkeit der Änderung auch aus Billigkeitsgesichtspunkten.
Weiterhin verweist die Klägerin zur Frage der Abänderbarkeit von bestandskräftigen Bescheiden auf die Entscheidung des EuGH C-453/00. In dieser Entscheidung sei es um die Frage gegangen, ob ein bereits bestandskräftiger Bescheid noch geändert werden könne, wenn sich nachträglich herausstelle, dass er auf rechtlich falschen Grundsätzen basiere. Der EuGH habe entschieden, dass dies unter bestimmten Voraussetzungen der Fall sei. Weiterhin werde auf den Vorlagebeschluss des FG Hamburg, Aktenzeichen IV 138/04, verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom 19.12.2005 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 6.2.2006 zu verurteilen, 2.464 EUR (16 Monate à 154 EUR) nebst Zinsen i.H.v. jeweils 5 % Punkten über den Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach Ansicht der Beklagten komme eine Korrektur nach § 70 Abs. 4 EStG nicht in Betracht, da sich lediglich die Berechnung der Einkunftsgrenze aufgrund des Beschlusses des BVerfG geändert habe. Unter Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge hätte die Klägerin zwar einen Anspruch auf Kindergeld für den streitigen Zeitraum gehabt, einer Änderung der Ablehnung stehe aber die Bindungswirkung der bestandskräftigen Ablehnungsbescheide entgegen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist unzulässig, soweit die Klägerin den Antrag gestellt, die Beklagte auf Zahlung von Prozesszinsen zu verurteilen.
Die Zahlung von Prozesszinsen gemäß § 236 AO erfolgt von Amts wegen. Da die Familienkassen ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Prozesszinsen im allgemeinen von sich aus nachkommen, besteht für ein auf Zahlung von Prozesszinsen gerichtetes Leistungsbegehren regelmäßig kein Rechtsschutzinteresse (vgl. BFH-Urteil vom 13. Juli 1989 IB 44/88, BFH/NV 1990, 247).
II. Die Klage ist im Übrigen teilweise begründ...