Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbrauch des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG ist auch dann vollständig verbraucht, wenn der Freibetrag zwar ohne vorherige Antragstellung des Steuerpflichtigen berücksichtigt wird, der Steuerpflichtige aber gegen die unzutreffende Festsetzung nicht vorgegangen ist.
2. Kann der Steuerpflichtige indes die Berücksichtigung des nicht beantragten Freibetrags nicht erkennen, tritt die Verbrauchswirkung nicht ein.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 4
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versagung des Freibetrags gemäß § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Streitjahr.
Der Kläger betrieb bis zum Streitjahr 2019 eine … Praxis. Diese beendete er zum 31. Dezember 2019 und erzielte hierdurch einen Aufgabegewinn in Höhe von … €. In der am 18. Februar 2021 eingereichten Steuererklärung für das Streitjahr 2019 machte der Kläger für diesen Aufgabegewinn den Freibetrag nach §§ 18 Abs. 3, 16 Abs. 4 EStG geltend. Obwohl bei der Prüfung der Einkommensteuererklärung im Veranlagungsbezirk aufgefallen war, dass der Freibetrag bereits für das Jahr 2011 gewährt worden war, berücksichtigte der Beklagte den Freibetrag im Einkommensteuerbescheid vom 31. Mai 2021 erneut (ohne hierbei auf den erkannten Umstand der Doppelberücksichtigung hinzuweisen) und leitete sodann durch Prüfungsanordnung vom 21. Juli 2021 eine Betriebsprüfung beim Kläger ein. Der Prüfer kam ausweislich des Prüfungsberichts vom 25. Oktober 2021 zu der Auffassung, dass der Freibetrag nach §§ 18 Abs. 3, 16 Abs. 4 EStG für das Streitjahr aufgrund der Gewinnfreistellung bereits im Jahr 2011 nicht mehr gewährt werden könne. Dem folgte der Beklagte und lehnte im anschließenden Änderungsbescheid vom 17. Dezember 2021 die Berücksichtigung des Freibetrags ab. Er begründete dies damit, dass dem Kläger der Freibetrag durch Steuerbescheid vom 26. Juli 2013 bereits im Veranlagungsjahr 2011 gewährt worden und damit für den Kläger verbraucht sei.
Nach den vorliegenden Steuerakten des Klägers bezüglich des Veranlagungsjahrs 2011 erging der erste Einkommensteuerbescheid für 2011 am 23. Januar 2013 auf der Grundlage der am 21. Dezember 2012 eingereichten Steuererklärung. Eine Berücksichtigung des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG wurde nicht beantragt. In dem aufgrund sog. ESt4B-Mitteilungen veranlassten Änderungsbescheid für 2011 vom 26. Juli 2013 setzte der Beklagte (erstmals) einen Gewinn aus der Veräußerung einer Beteiligung an der A GmbH & Co KG in Höhe von … € an, stellte diesen jedoch – was sich ausschließlich aus den internen Veränderungsdaten des Beklagten ergibt – aufgrund des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG steuerfrei. Im Berechnungsteil des Steuerbescheids ist erkennbar, dass der angesetzte Veräußerungsgewinn in Höhe von … € mit dem Hinweis „ab steuerfrei bleibende Veräußerungsgewinne ./. … €” wieder abgesetzt wurde. Der Bescheid enthält hierzu folgenden Erläuterungstext: „Die Änderung ergibt sich aufgrund der Auswertung einiger Mitteilungen bezgl. Ihrer Beteiligungseinkünfte. Die Zusammensetzung der Beteiligungseinkünfte entnehmen Sie bitte der Anlage, die Ihnen bereits mit gesonderter Post zugegangen ist.” Auf die tatsächliche Berücksichtigung des Freibetrags wurde weder im Erläuterungstext des Steuerbescheids noch in der im Steuerbescheid in Bezug genommenen Anlage hingewiesen. Die Berücksichtigung des Freibetrags war – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – auch zwischenzeitlich vom Kläger nicht beantragt worden. Vielmehr setzte der Beklagte den Freibetrag gemäß damals bestehender Verwaltungspraxis selbständig an.
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2013 übersandte der Beklagte dem Kläger eine Übersicht über künftig (noch) zu berücksichtigenden Beteiligungseinkünfte. In dieser Übersicht findet sich bezüglich der bereits im Änderungsbescheid vom 26. Juli 2013 berücksichtigten Gewinne aus Veräußerung der Beteiligung an der A GmbH & Co KG der folgende Hinweis: „Über die Steuerbefreiung nach § 16 Abs. 4 EStG (Veräußerungsfreibetrag) entscheidet das Wohnsitzfinanzamt auf Antrag des Steuerpflichtigen. Darüber hinaus sind Veräußerungsgewinne nach § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt zu besteuern. Ob eine besondere Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG gewährt werden kann entscheidet das Wohnsitzfinanzamt auf Antrag des Steuerpflichtigen.” Der Einkommensteuerbescheid vom 26. Juli 2013 wurde sodann am 14. November 2013 sowie am 10 Dezember 2013 erneut geändert. Einen Hinweis auf die Verwendung des Freibetrags findet sich auch in diesen Änderungsbescheiden nicht.
Den am 22. Dezember 2021 gegen den Änderungsbescheid für 2019 vom 17. Dezember 2021 eingelegten Einspruch wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 14. April 2022 als unbegründet zurück.
Zwar sei der Freibetrag vom Kläger bzw. dessen Steuerberatung damals nicht beantragt worden, gleichwohl habe sich die Gewährung des Freibetrags steuerlich ausgewirkt. Der Kläger sei deshalb angehalten gewesen, gegen diesen – insoweit un...