Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Kapitalertragsteuer auf Dividenden aus Kapitalanlagen einer belgischen Lebensversicherungsgesellschaft. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VIII R 40/23)
Leitsatz (redaktionell)
1. § 8b Abs. 8 KStG sieht vor, dass der Grundsatz des § 8b Abs. 1 KStG, wonach Dividenden bei der Einkommensermittlung außer Ansatz bleiben, nicht für Anteile gilt, die bei Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen den Kapitalanlagen zuzurechnen sind.
2. Die Regelung des § 8b Abs. 8 KStG ist nicht mit der unionsrechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar, soweit bei gebietsfremden Versicherungsunternehmen mit einer Lebensversicherungssparte gleichermaßen wie bei gebietsansässigen Unternehmen dieser Sparte ein kausaler Zusammenhang zwischen in diesem Bereich bezogenen Dividenden und aufwandswirksamen versicherungstechnischen Rückstellungen besteht.
3. Der Umstand, dass ein EU-Mitgliedstaat an ausländische Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden weniger günstig behandelt als an inländische Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden, im Ausland ansässige Gesellschaften davon abhält, im Inland zu investieren, stellt eine verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.
3. § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG ist im Hinblick auf die Kapitalverkehrsfreiheit im Wege der geltungserhaltenden Reduktion mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine im Ergebnis nicht vorzunehmende Besteuerung infolge einer aufwandswirksamen Rückstellung als ausreichend anzusehen ist.
Normenkette
KStG § 8b Abs. 8, § 32 Abs. 5; AEUV Art. 63; KStG § 8b Abs. 1
Nachgehend
BFH (Aktenzeichen I R 59/23) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin bezüglich des Streitjahres 2009 ein Anspruch auf Erstattung von Kapitalertragsteuer gemäß § 32 Abs. 5 KStG zusteht und bejahendenfalls, ob der Erstattungsanspruch zu verzinsen ist.
Die Klägerin ist eine in Belgien ansässige Kapitalgesellschaft, die Kranken- und Lebensversicherungen sowie Sachversicherungen anbietet. Unmittelbare Anteilseigner im Streitjahr waren die Z S.A., Y (Frankreich), zu …% sowie die Z1 S.A., Luxemburg zu …%. Weitere in Frankreich und den Niederlanden ansässige Konzerngesellschaften waren mittelbare Anteilseigner, deren Anteile letztlich zu 100 % von der X W (Deutschland) gehalten wurden.
Die Klägerin war im Streitjahr an der V AG zu … %, an der U AG zu … %, an der T AG zu … %, an der W AG zu … %, an der S AG zu … %, an der Q AG zu … %, an der P AG zu … %, an der N AG zu … % und an der R AG zu … % beteiligt.
Auf diverse aus diesen Beteiligungen im Jahr 2009 zugeflossene Gewinnausschüttungen in Höhe von insgesamt … € wurde Kapitalertragsteuer zzgl. Solidaritätszuschlag i.H.v. … € (Kapitalertragsteuer i.H.v. … € zzgl. Solidaritätszuschlag i.H.v. … €) einbehalten und abgeführt.
Im Erstattungsverfahren gemäß § 44a Abs. 9 EStG bzw. § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. DBA Deutschland-Belgien erfolgte mit Freistellungsbescheiden vom 24. Juni 2010 (BE 1…), vom 14. Oktober 2010 (BE 2…) und vom 21. Oktober 2010 (BE 3…) eine Teilentlastung i.H.v. 2/5 der abgeführten Kapitalertragsteuer (vgl. Bl. 25 ff. Verwaltungsakte des Beklagten zum Aktenzeichen BE 4… – VA –).
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2013, eingegangen beim Beklagten am 16. Dezember 2013, beantragte die Klägerin die Erstattung der verbliebenen Kapitalertragsteuer gemäß § 32 Abs. 5 KStG in Höhe von … € (vgl. Bl. 1 ff. VA).
Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 17. Dezember 2015 wegen fehlender bzw. unvollständiger Unterlagen (vgl. Bl. 252 ff. VA) und den daraufhin eingelegten Einspruch mit Entscheidung vom 9. Juli 2019 wegen Fehlens der sachlichen Voraussetzungen gemäß § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG sowie § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG als unbegründet ab. Den auf § 37 Abs. 2 AO gestützten Hilfsantrag lehnte er im Hinblick auf seine fehlende Zuständigkeit ab, die geltend gemachte Verzinsung im Hinblick auf einen fehlenden Erstattungsanspruch (vgl. im Einzelnen Einspruchsentscheidung vom 9. Juli 2019, Bl. 97 ff. eFG-Akte).
Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin die Erstattung des Restbetrags der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer. Nach ihrer Auffassung liegen sämtliche Voraussetzungen, auch diejenigen gemäß § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG sowie § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG vor.
Die vorliegend relevanten Kapitalerträge blieben gemäß § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz, sodass § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG erfüllt sei. Dies folge bereits daraus, dass § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG ausschließlich auf § 8b Abs. 1 KStG verweise, nicht jedoch auf § 8b Abs. 8 KStG. Selbst wenn davon unbenommen § 8b Abs. 8 KStG mit einzubeziehen sei, sei diese Vorschrift nicht einschlägig. Gemäß § 8b Abs. 8 KStG seien Kapitalerträge nicht steuerfrei, sofern es sich bei der Gläubigerin um eine Lebens- und Krankenversicherung handele. Entgegen der Auffassung des Beklagten erfülle sie, die Klägerin, diesen Ausnahmetatbestand nicht, da sie kein Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen im Sinne des § 8b A...