Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung, Grundlagenbescheid
Leitsatz (redaktionell)
Die Änderung eines Feststellungsbescheides, in dem ein Verlust aus Spekulationsgeschäften erhöht wird, führt nicht dazu, die fehlerhaft unterbliebene Verrechnung des ursprünglich festgestellten Verlusts aus Spekulationsgeschäften nachträglich zu korrigieren. Eine Änderung des Folgebescheides zur Einkommensteuer kann in diesem Fall nur im Umfang der Verlusterhöhung erfolgen.
Normenkette
EStG a.F. § 23 Abs. 4 S. 3; AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tatbestand
Die Kläger sind Eheleute und wurden im Streitjahr 1992 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin erzielte in diesem Jahr Einkünfte aus verschiedenen Beteiligungen, unter anderem als Gesellschafterin der D Vermögensverwaltungs GbR. Für diese GbR wurde durch das zuständige Finanzamt A am 08.12.1994 ein Feststellungsbescheid für 1992 erlassen, durch den der Klägerin neben Einnahmen und Werbungskosten aus Kapitalvermögen ein Verlust aus Spekulationsgeschäften in Höhe von 583.967 DM zugewiesen wurde. Sonstige Verluste aus Spekulationsgeschäften erzielten die Kläger im Streitjahr nicht. Im Rahmen ihrer am 24.11.1994 eingereichten Einkommensteuererklärung setzten die Kläger sowohl die festgestellten Einnahmen und Werbungskosten aus der GbR als Einkünfte aus Kapitalvermögen an als auch in der Rubrik Spekulationsgeschäfte (Zeile 50 der Anlage KSO) einen Betrag in Höhe von -583.967 DM mit dem maschinenschriftlichen Zusatz „D Vermögensverw. GbR”.
In dem daraufhin ergangenen erstmaligen Einkommensteuerbescheid vom 20.03.1995 blieb der Spekulationsverlust unberücksichtigt. In den Erläuterungen zum Bescheid wird hierzu ausgeführt: „Der Spekulationsverlust konnte nicht zum Ansatz kommen, da dieser nur mit einem im gleichen Jahr erzielten Spekulationsgewinn ausgeglichen werden kann (vgl. § 23 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes – EStG –).” Dieser Bescheid wurde bestandskräftig, ebenso wie die zahlreichen in der Folgezeit ergangenen Änderungsbescheide, in denen der Spekulationsverlust nicht mehr erwähnt wurde, zuletzt der Bescheid vom 20.11.2000.
Am 27.10.2000 erließ das Finanzamt A für die GbR einen (u.a. für 1992) geänderten Feststellungsbescheid, durch den der Klägerin neben geänderten Einnahmen aus Kapitalvermögen Einkünfte aus Spekulationsgeschäften in Höhe von nunmehr -588.378 DM zugewiesen wurden. Diesen Änderungsbescheid wertete der Beklagte aus, indem er am 01.03.2001 einen geänderten Einkommensteuerbescheid erließ, der gegenüber dem Vorbescheid zu einer Herabsetzung des festgesetzten Steuer führte, in dem aber der Spekulationsverlust weiterhin unberücksichtigt blieb. Gegen diesen Bescheid legten die Kläger durch Schreiben vom 03.04.2001 Einspruch ein und machten geltend, dass die Einschränkung der Verlustverrechnung von Spekulationsverlusten nach § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG (vormals: § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG) verfassungswidrig sei. Dieses Einspruchsverfahren ruhte zunächst.
Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) in der Folgezeit in verfassungskonformer Auslegung entschieden hatte, dass Spekulationsverluste aus den Jahren vor 1999 grundsätzlich uneingeschränkt ausgleichsfähig sind (etwa Urteil vom 01.06.2004 IX R 35/01, BStBl II 2005, 26), erließ der Beklagte am 02.07.2010 einen geänderten Einkommensteuerbescheid, in dem er einen Spekulationsverlust in Höhe von 4.413 DM berücksichtigte. Hierbei handelte es sich um den Betrag, um den der Spekulationsverlust durch den geänderten Feststellungsbescheid vom 27.10.2000 gegenüber dem ursprünglichen Feststellungsbescheid erhöht wurde. In Höhe des ursprünglich festgestellten Verlustes sei, so der Beklagte, angesichts der Bestandskraft der vorhergehenden Einkommensteuerbescheide keine Änderung möglich. Er wies daher durch Einspruchsentscheidung vom 22.07.2010 den Einspruch der Kläger im Übrigen als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Kläger geltend machen, dass der Ansatz des gesamten Spekulationsverlustes nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geboten sei. Die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides verpflichte das Finanzamt für den Folgebescheid, die zutreffenden Folgerungen aus dem Grundlagenbescheid zu ziehen; sie begründe eine „absolute Anpassungsverpflichtung”. Dies gelte insbesondere auch dann, wenn im Rahmen der Umsetzung früherer Feststellungsbescheide materiell-rechtliche Fehler gemacht worden seien und zwar unabhängig davon, ob der materiell-rechtlich fehlerhafte Folgebescheid angefochten worden sei oder nicht. Maßstab für die Änderung des Folgebescheides sei in derartigen Konstellationen der vorausgegangene (nicht vollständig ausgewertete) Grundlagenbescheid, nicht aber der vorausgegangene (und wegen unvollständiger bzw. unzutreffender Auswertung des Grundlagenbescheides unrichtige) Folgebescheid. Da vorliegend die Spekulationsverluste auf Ebene der D Vermögensverwaltungs GbR angefallen und auch dort durch Festste...