Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweis der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes
Leitsatz (redaktionell)
1) Es ist Sache des Steuerpflichtigen, im Einzelfall eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer darzulegen und gegebenenfalls im Rahmen der ihm obliegenden Feststellungslast nachzuweisen.
2) Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint.
3) Erforderlich ist insoweit, dass die Darlegungen des Steuerpflichtigen Aufschluss über die maßgeblichen Determinanten --z.B. technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen-- geben, welche die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen, und auf deren Grundlage der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 EStDV), im Wege der Schätzung mit hinreichender Bestimmtheit zu ermitteln ist.
4) Die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens, insbesondere die Zustandsermittlung von Immobilien mit Hilfe des sog. ERAB-Verfahrens (Verfahren zur Ermittlung des Abnutzungsvorrats von Baustoffen), seitens des Steuerpflichtigen ist keine Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer.
Normenkette
EStG § 7 Abs. 4; EStDV § 11c Abs. 1; EStG § 7 Abs. 1
Tatbestand
Die Kläger werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist Eigentümer mehrerer Vermietungsobjekte. Er erwarb das streitgegenständliche Mehrfamilienhaus in der A-Straße … in B mit notariellem Vertrag vom ….2012 für Gesamt-Anschaffungskosten i.H.v. … €. Strittig ist nunmehr noch die Nutzungsdauer der Immobilie für Zwecke der Bemessung der Absetzung für Abnutzung (AfA).
Der Beklagte veranlagte die Kläger mit Einkommensteuerbescheiden 2014 und 2015 vom 20.11.2017 und berechnete die AfA des streitgegenständlichen Gebäudes mit 2%. Gegen die Bescheide legten die Kläger mit Schreiben vom 21.12.2017 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 03.04.2020 zurückwies.
Am 26.04.2020 haben die Kläger Klage erhoben. Bezüglich des zuletzt noch strittigen Punktes verweisen sie auf das von ihnen im Klageverfahren vorgelegte Gutachten, welches eine Restnutzungsdauer von 31 Jahren ausweist sowie das Urteil des BFH vom 28.07.2021, Az. IX R 25/19.
Nach dem vom öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken, Mieten und Pachten, Herr C, erstellten Gutachten ermittelte dieser auf Grundlage der Immobilienwertermittlungsverordnung – ImmoWertV – sowie des von der Arbeitsgemeinschaft der Vorsitzenden der Gutachterausschüsse für Grundstückswerte in Nordrhein-Westfalen erstellen Schemas zur Bestimmung der Restnutzungsdauer bei modernisierten Gebäuden „Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer für Wohngebäude unter Berücksichtigung von Modernisierungen” Anlage 4, Modell zur Ableitung von Sachwertfaktoren, Stand 21.06.21), die Restnutzungsdauer. Auf über 6 Seiten stelle der Sachverständige detailliert dar, welche Modernisierungsmaßnahmen stattgefunden hätten, wie z.B. der Einbau einer Wärmedämmung im Dach, der Austausch der Fenster, der Elektrounterverteilung, dem Austausch der alten Ölheizung gegen eine Gaszentralheizung etc. und bewertete jede einzelne Maßnahme nach einem Punkteschema. Daraus folgerte er einen Modernisierungsgrad, den er sachverständig als „kleine Modernisierungen im Rahmen der Instandhaltung” einstufte. Aufgrund des Alters des Gebäudes zum Bewertungsstichtag von rund 55 Jahren und einer üblichen Gesamtnutzungsdauer für Gebäude dieser Art von in der Regel 80 Jahren sowie der vorgenommenen Modernisierungen stellte der Gutachter nach dem Modell zur Ableitung von Sachwertfaktoren eine modifizierte wirtschaftliche Restnutzungsdauer von 31 Jahren fest.
Die Kläger beantragen nunmehr,
die Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015, jeweils zuletzt geändert am 19.03.2021, und die zugehörige Einspruchsentscheidung vom 03.04.2020 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung des Objekts „A-Straße …, … B” die Abschreibung für Abnutzung auf Grundlage einer Aufteilung der Anschaffungskosten im Verhältnis von 43,96% auf den Grund und Boden und von 56,04% auf das Gebäude und einer tatsächlichen Nutzungsdauer von 31 Jahren erfolgt.
Der Beklagte beantragt,
eine Aufteilung der Anschaffungskosten im Verhältnis von 43,96% auf den Grund und Boden und von 56,04% auf das Gebäude und im Übrigen die Klage abzuweisen.
Er meint, dass eine kürzere als die begehrte Restnutzungsdauer nicht im von den Klägern vorgelegten Gutachten festgestellt worden sei, da der Begriff der „wirtschaftlichen Restnutzungsdauer” nicht mit dem Begriff der „tatsächlichen Nutzungsdauer” in § 7 Abs. 4 S. 2 EStG gleichzusetzen sei. Die Bausachverständige des Beklagten, der das Gutachten vorgelegt worden ist, hat sich nicht zur...