Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch eines türkischen Staatsangehörigen

 

Leitsatz (redaktionell)

Einem türkischen Staatsangehörigen steht Kindergeld nach Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses 3/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19.9.1980 unabhängig von der Qualität seines Aufenthaltstitels zu.

 

Normenkette

Beschluss 3/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19.09.1980 Art. 3 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Im Dezember 1989 reiste er als Asylsuchender mit seiner Familie in die Bundesrepublik ein. Seither lebt er mit seiner Ehefrau und seinen Kindern zunächst aufgrund einer Aufenthaltsgestattung und dann aufgrund einer Aufenthaltsbefugnis rechtmäßig in Deutschland.

Seit Jahren geht der Kläger im Inland einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit als Arbeitnehmer nach, die vorübergehend durch Arbeitslosigkeit unterbrochen war. Während des Zeitraumes seiner Erwerbslosigkeit bezog er vom Arbeitsamt Arbeitslosen- bzw. Unterhaltsgeld.

Am 28.10.1996 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung von Kindergeld für seine im Inland lebenden Töchter L. (3.8.1982), S. (1.8.1983) und den Sohn S. (07.08.1989). Der Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, der Kläger sei nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis, sondern lediglich einer Aufenthaltsbefugnis; diese berechtige nach dem Wortlaut des § 62 Abs. 2 EStG nicht zum Bezug von Kindergeld (Einspruchsentscheidung vom 29.04.1997).

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage.

Der Kläger macht geltend, er habe in den Streitjahren unabhängig von der Qualität seines Aufenthaltstitels aufgrund des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19.09.1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und deren Familienangehörigen (ARB 3/80 EWG-Türkei) Anspruch auf Kindergeld wie ein deutscher Staatsangehöriger. Zur weiteren Begründung beruft er sich auf die im Verlauf des Klageverfahrens ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 04.05.1999 in der Rechtssache Sürül (C-262/96, EuGHE I 1999, 2685, Inf AuslR 1999, 324) in der das Gericht zur Auslegung und unmittelbaren Wirkung des ARB 3/80 EWG-Türkei Stellung genommen hat.

Mit Bescheid vom 10.04.01 hat der Beklagte nachträglich Kindergeld für den Zeitraum gewährt, in dem der Kläger in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden bzw. Arbeitslosengeld bezogen hat (April 1996 bis März 1997 und ab Oktober 1997). Insoweit geht der Beklagte nunmehr von einem Anspruch aufgrund des deutsch-türkischen Abkommens über soziale Sicherheit vom 30.04.1964 (BGBl II 1965, 1169) in der Fassung des Zusatzabkommens vom 25.10.1975 aus (BGBl II 1975, 373). Für die Monate April 1997 bis September 1997 – dem Zeitraum des Bezuges von Unterhaltsgeld – lehnt der Beklagte die Gewährung von Kindergeld weiterhin ab.

Soweit dem Klagebegehren entsprochen worden ist, haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Bescheides vom 13.11.1996 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 29.04.1997 den Beklagten zu verpflichten, Kindergeld für die Kinder L. S. und S. auch für die Zeit vom 01.04.1997 bis 30.09.1997 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass der Kläger für den verbleibenden Zeitabschnitt kein Kindergeld beanspruchen könne. Das deutsch türkische Abkommen über soziale Sicherheit begünstige nur solche Personen, die in einem Beschäftigungsverhältnis stünden oder denen Arbeitslosengeld gewährt werde; der Bezug von Arbeitslosenhilfe oder Unterhaltsgeld sei dem nicht gleichzusetzen.

Eine Anwendung des möglicherweise weiterreichenden Assoziationsratsbeschlusses EWG/Türkei Nr. 3/80 – auf den sich der Kläger berufe – scheide derzeit aus, „da der Abstimmungsprozess der zuständigen Bundesministerien hinsichtlich der Auswirkungen des Urteils des EuGH vom 04.05.1999, C-262/96 auf die Anwendung von § 62 Abs. 2 EStG noch nicht abgeschlossen” sei. Insbesondere sei es zweifelhaft, ob der Assoziationsratsbeschluss und das darauf fußende EuGH-Urteil auch für als Flüchtlinge eingereisten Personen gelte.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet (Bl. 138 FG-Akte, Bl. 5 PKH-Akte).

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Der Beklagte ist aufgrund des Gleichbehandlungsgebotes in Art 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19.09.1980 verpflichtet, für die Kinder L., S. und S. auch für die Monate April bis September 1997 Kindergeld zu gewähren.

1. Gemäß Art 3 i.V.m. Art 4 Abs. 1 Buchstabe h) des ARB 3/80 EWG-Türkei haben Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen und auf die der Assoziationsratsbeschluss Anwendung findet, grundsätzlich die gleichen Rechte auf Familienleistungen des Mitgliedstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Unter den persönlichen Geltungsbereich des Beschlusses f...

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