Entscheidungsstichwort (Thema)

Differenzkindergeld für ein Kind in Ausbildung und Rehabilitation in Polen

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Ein in Deutschland wohnender und als Architekt freiberuflich Tätiger Kindesvater, dessen Sohn in Polen bei der dort erwerbstätigen Kindesmutter lebt und für den die Kindesmutter in Polen Familienleistungen bezieht, steht in Deutschland Anspruch auf Differenzkindergeld zu.

2) Für die Berechnung des Differenzkindergelds sind nur das in Polen gezahlte Kindergeld und der Zuschlag zum Kindergeld mindernd zu berücksichtigen. Pflegegeld und Zahlungen aus einem "Alimentationsfonds" bleiben unberücksichtigt.

 

Normenkette

EStG §§ 63, 64 Abs. 2, § 65 Abs. 1 Nr. 2; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 67-68; VO (EG) Nr. 987/2009 Art. 60; EStG § 62

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 23.08.2016; Aktenzeichen V R 40/13)

BFH (Urteil vom 23.08.2016; Aktenzeichen V R 40/13)

 

Tatbestand

Strittig ist das Kindergeld für den im November 2004 geborenen Sohn A. Streitzeitraum sind die Monate ab Mai 2010 bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung im März 2011.

Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Er hat seinen Wohnsitz im Inland und ist hier als Architekt freiberuflich tätig.

Neben zwei Kindern aus einer geschiedenen Ehe, die bei der Kindesmutter in Deutschland wohnen, hat der Kläger den Sohn A aus einer unehelichen Beziehung. Der im November 2004 geborene Sohn lebt bei der Kindesmutter (Frau B) in Polen (C).

Im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs vor dem polnischen Amtsgericht D hatte der Kläger sich am 20. Dezember 2007 verpflichtet, ab Januar 2008 Kindesunterhalt in Höhe von 750,00 Zloty (PLN) zu zahlen (Bl. 91-93 FG-Akte). Dieser Betrag war geringer als die gesetzliche Unterhaltspflicht. Der Kläger kam seiner Verpflichtung ab Februar 2009 nur teilweise und ab Februar 2010 gar nicht mehr nach. Ende Mai 2010 bestand ein Rückstand in Höhe von 6.600 PLN (= 1.615,35 EUR, Bl. 94 FG-Akte). Ab Januar 2011 reduzierte sich die Unterhaltsverpflichtung auf 500 PLN monatlich (Bl. 100 FG-Akte).

Ausweislich eines Beschlusses des Regionalzentrums für Sozialpolitik (ROPS II 223/2011) vom 15. Februar 2011 war die Kindesmutter seit dem 1. Mai 2010 aufgrund eines Werkvertrages angestellt. Im Zeitraum ab 1. September 2010 bis 13. September 2010 war sie arbeitslos ohne Arbeitslosenberechtigung. Ab dem 14. September 2010 bis 31. Mai 2012 wurde ihr Pflegegeld (Swiadczenia pielegnacyjnego) zuerkannt, weil das Kind behindert und pflegebedürftig ist (Bl. 145-148 FG-Akte).

Gemäß Bescheinigung des Stadtzentrums für Sozialhilfe der Stadt C vom 12. Dezember 2012 (Bl. 143, 144 FG-Akte) erhielt die Kindesmutter im Zeitraum von Mai 2010 bis Ende März 2011 folgende Leistungen:

  • • Kindergeld (Familienbeihilfe; zasilku rodzinnego) in Höhe von insgesamt 455 PLN, einen Zuschlag (dodatku) zum Kindergeld auf Grund von Ausbildung und Rehabilitation des behinderten Kindes in Höhe von insgesamt 400 PLN,
  • • Pflegegeld (Pflegebeihilfe; zasilku pielegnacyjnego) in Höhe von insgesamt 1.836,00 PLN,
  • • Pflegegeld (Pflegeleistung, Entgeltersatzleistung; swiadczenie pielegnacyjne) in Höhe von insgesamt 3.414,70 PLN,
  • • Zahlungen aus einem „Alimentationsfonds” in Höhe von insgesamt 5.500 PLN

Ausweislich des erwähnten Beschlusses des Regionalzentrums für Sozialpolitik (ROPS) vom 15. Februar 2011 (Bl. 145-148 FG-Akte) gehören Pflegebeihilfe und Pflegeleistung zu den Familienleistungen im Sinne der Art. 1 und 4 der VO (EG) Nr. 1408/71; ferner ist man dort der Ansicht, dass Polen vorrangig für die Auszahlung der Familienbeihilfen zuständig ist, weil das Kind dort wohnt.

Der Kläger erhielt für den Sohn in Deutschland bis einschließlich April 2010 sog. Differenzkindergeld in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem deutschen Kindergeld und dem an die Kindesmutter gezahlten niedrigeren polnischen Kindergeldes (Bescheide vom 8. Juli 2005 und vom 29. September 2010, Bl. 155 KG-Akte).

Für den Zeitraum ab Mai 2010 hat die Beklagte (vormals Familienkasse E) mit Bescheid vom 29. September 2010 bzw. Änderungsbescheid vom 23. Februar 2011 und Einspruchsentscheidung vom 18. März 2011 die Festsetzung des Kindergeldes aufgehoben, zuletzt mit der Begründung, es bestehe zwar ein Anspruch auf deutsches Kindergeld, dieser sei jedoch nach § 64 Abs. 2 EStG von der Kindesmutter geltend zu machen, weil das Kind in deren Haushalt untergebracht sei. Die Kindesmutter könne einen Antrag bei der Familienkasse F stellen.

Die Kindesmutter hat mit Schreiben vom 20. Juli 2009, 19. Februar 2010 und 8. Februar 2011 Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes gestellt, weil der Kläger seinen Unterhaltspflichten gegenüber dem Kind nicht nachkomme. Seit Februar 2010 zahle er überhaupt keinen Unterhalt mehr (Bl. 168 KG-Akte). Die Beklagte hat die Kindesmutter über den Ablehnungsbescheid vom 23. Februar 2011 und die Einspruchsentscheidung vom 18. März 2011 informiert (Bl. 174 R KG-Akte). Nach den Angaben der Beklagten ist ein Antrag der Kindesmutter bei der Familienkasse F bislang nicht eingegangen (Bl. 78 FG-Akte).

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