Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Differenzkindergeld eines im Inland ansässigen Gewerbetreibenden für seine in Polen bei der Mutter lebenden Kinder
Leitsatz (redaktionell)
Ein in Deutschland tätiger Gewerbetreibender, dessen Kinder im Haushalt der in Polen lebenden und dort erwerbstätigen Kindesmutter leben und für die die Kindesmutter in Polen Familienleistungen erhält, hat in Deutschland Anspruch auf Differenzkindergeld.
Normenkette
EStG §§ 63-64; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 67-68; VO (EG) Nr. 987/2009 Art. 58 ff.; EStG § 62
Tatbestand
Zu entscheiden ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Kindergeld für seine beiden in Polen bei der Kindesmutter lebenden Töchter A 2, geboren am 23. Juni 1994, und A 3, geboren am 28. Januar 1997, für die Monate Mai bis einschließlich Dezember 2010 hat.
Der Kläger lebt in Deutschland und ist selbstständig gewerblich tätig. Für den Kläger liegt eine Gewerbeanmeldung in den Bereichen Gartenarbeiten, Trockenbau und Fliesen verlegen vor.
Die Kindesmutter ist in Polen erwerbstätig. Die Ehe mit dem Kläger ist seit 2003 geschieden. Die Kindesmutter lebt zusammen mit beiden Töchtern in Polen.
Nach Bescheinigungen des polnischen Finanzamtes jeweils vom 30. April 2013 erzielte die Kindesmutter im Jahr 2008 ein Einkommen i.H.v. 10.244,97 PLN bei einer anfallenden Steuer von 0 PLN und Beiträgen zur Krankenversicherung i.H.v. 730,59 PLN und Beiträgen zur Sozialversicherung i.H.v. 1.446,98 PLN. Im Jahr 2009 betrug das Einkommen der Kindesmutter 19.604,63 PLN, bei einer Steuer i.H.v. 0 PLN, Krankversicherungsbeiträgen i.H.v. 1.353,90 PLN und Sozialversicherungsbeiträgen i.H.v. 2.705,73 PLN.
Mit Bescheid vom 26. Mai 2009 setzte die Beklagte hälftiges Kindergeld gegenüber dem Kläger für beide Töchter fest.
Nach Anhörung des Klägers hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung durch Bescheid vom 8. September 2010 mit Wirkung ab Mai 2010 auf.
Der dagegen gerichtete Einspruch war erfolglos. Ein Kindergeldanspruch bestehe nach der Begründung der Einspruchsentscheidung vorrangig für die in Polen lebende Kindesmutter. Diese habe beide Töchter in ihren Haushalt aufgenommen und sei daher nach § 64 Abs. 2 S. 1 EStG vorrangig berechtigt. Als Rechtsgrundlage für einen Kindergeldanspruch komme neben den Einkommensteuergesetz das Bundeskindergeldgesetz in Betracht.
Mit der dagegen gerichteten Klage begehrt der Kläger die Weitergewährung von Kindergeld. Tatsächlich werde Kindergeld ab Mai 2010 weder an ihn noch an die Kindesmutter gezahlt. Der Kindesmutter stehe in Polen nach den dortigen Vorschriften kein Anspruch auf Kindergeld zu. Die staatlichen Rechtsvorschriften hätten nicht zum Ziel, dass keinem der Elternteile Kindergeld gewährt werde.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Bescheids vom 8. September 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. November 2010 Kindergeld für beide Kinder A 2, geb. am 23. Juli 1994, und A 3, geboren am 28. Januar 1997 von Mai 2010 bis Dezember 2010 festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
Die Klage abzuweisen.
Zur Begründung macht die Beklagte geltend, dass die Kindeseltern getrennt leben, so dass kein gemeinsamer Haushalt bestehe. Kindergeldberechtigt sei danach allein derjenige Elternteil, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe. Nach Art. 67 VO (EG) Nr. 883/2004 seien Familienleistungen zu gewähren, als ob sämtliche Familienangehörige in Deutschland wohnen würden. Würde die gesamte Familie in Deutschland wohnen, wäre ebenfalls die Kindesmutter allein anspruchsberechtigt gewesen.
Es komme nicht darauf an, ob die Kindesmutter in Polen einen Anspruch auf Familienleistungen habe. Die Kindesmutter könne und müsse einen Antrag auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz bei der Familienkasse Nürnberg stellen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie den Inhalt der beigezogenen Kindergeldakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die Familienkasse C in H ist aufgrund eines Organisationsaktes (Beschluss des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 Finanzverwaltungsgesetz (FVG) und § 13 Abs. 3 BKGG, veröffentlicht in den Amtlichen Nachrichten des Bundesagentur für Arbeit, Nr. 5/2013) durch gesetzlichen Wechsel des Beteiligten (vgl. BFH-Beschluss vom 03. März 2011 V B 17/10, BFH/NV 2011, 1105) in die Beteiligtenstellung der Agentur für Arbeit E-Familienkasseeingetreten. Nach dem Organisationsakt ist die Familienkasse C in H sonderzuständig für Kindergeldfälle, in denen – wie im Streitfall – über die Anwendung über- bzw. zwischenstaatlicher Rechtsvorschriften zu befinden ist – insbesondere die VO [EWG] Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 bzw. die VO [EG] Nr. 883/2004 vom 29. April 2004 nebst Durchführungs-VO) und der Kindergeldberechtigte, der andere Elternteil oder das anspruchsbegründende Kind ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Polen haben.
2. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzge...