Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung Vorerbschaft von Nießbrauchsvermächtnis
Leitsatz (redaktionell)
1) Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Besteuerung des Erwerbs eines Vorerben als Vollerbe.
2) Ob der Erblasser den Begünstigten als Vorerben oder als Nießbrauchsvermächtnisnehmer eingesetzt hat, ist durch Auslegung der letztwilligen Verfügung zu klären.
Normenkette
BGB §§ 2084, 2100; ErbStG § 6 Abs. 1
Nachgehend
BFH (Aktenzeichen II R 39/17) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Besteuerung der Klägerin als Vorerbin.
Die Klägerin war die langjährige, nichteheliche Lebensgefährtin des am ….07.2013 verstorbenen Herrn A. Bis zu ihrer Erkrankung an multipler Sklerose war die Klägerin freiberuflich für einen Architekten tätig. Seitdem ist sie arbeitslos und inzwischen zu 100 % behindert mit den Merkzeichen „G”, „aG” und „B”. Die Kosten für die Krankenversicherung und alle weiteren Kosten übernahm Herr A für die Klägerin. Seit 2010 lebt die Klägerin im Pflegeheim B in C. Die Pflege- und Aufenthaltskosten werden von der Städte-Region C getragen, da die Klägerin über keine eigenen Einkünfte und über kein Vermögen verfügt.
Herr A errichtete am 17.12.2012 ein notariell beglaubigtes Testament (Ur-Nr. 1 des Notars D in C), in dem er folgende Regelungen traf:
„III. Erbeinsetzung
Ich setze hiermit zu meiner alleinigen Erbin ein:
Frau F, geboren am … April 1963, derzeit wohnhaft im Haus B in C, E-Straße ….
Frau F ist nur Vorerbin, die den gesetzlichen Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB unterliegt.
Nacherben auf ihren Tod sind:
- • die G Deutschland e.V. ….
- • H e.V. …
- • die I, …
zu je 1/3 Anteil.
…
Die Nacherbfolge tritt ein mit dem Tod der Vorerbin.
Das Nacherbenanwartschaftrecht ist weder vererblich noch übertragbar, ausgenommen nur die Veräußerung an die Vorerbin. Für den Fall, dass der Nacherbe das Nacherbenanwartschaftrecht auf den Vorerben überträgt, ist ein Ersatznacherbfolge ausdrücklich ausgeschlossen.”
Zudem ordnete der Erblasser die Dauertestamentsvollstreckung gemäß § 2209 BGB bis zum Tod der Vorerbin durch den Steuerberater J an (IV.1. des Testaments). Im Wege der Verwaltungsanordnung gemäß § 2216 Abs. 2 BGB wies er den Testamentsvollstrecker verbindlich an, der Klägerin aus den ihr gebührenden jährlichen Reinerträgen (Nutzungen) des Nachlasses nach billigem Ermessen solche Geld- und Sachleistungen nach Art und Höhe zukommen zu lassen, die zur Verbesserung ihrer Lebensqualität beitragen, auf die die Träger der Sozialleistungen nach den derzeitigen bzw. künftigen Vorschriften jedoch nicht zugreifen können und die auch nicht auf die ihr gewährten Sozialleistungen anrechenbar sind. Dies sind z.B. Überlassung von Geldbeträgen im Rahmen der Freigrenzen für Bezieher von Sozialleistungen, Zuwendungen zum Erwerb von Kleidung, Geschenke zu Geburtstagen und Festtagen, Aufwendungen für die Freizeitgestaltung, Aufwendungen für Ferienaufenthalte einschließlich der Kosten für eine Betreuungskraft und Zuschüsse zu Krankheitskosten, soweit sie nicht von anderen Trägern gedeckt sind. Darüber hinaus gehende Reinerträge sollen vom Testamentsvollstrecker zugunsten der Klägerin angelegt werden (IV.2 und 3. des Testaments).
Am ….07.2013 verstarb Herr A, und das Amtsgericht C stellte am ….11.2013 ein entsprechendes Testamentsvollstreckerzeugnis aus. Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus verschiedenen Wertpapierdepots sowie aus Guthaben bei verschiedenen Banken. Der Gesamtwert des Nachlasses beläuft sich unstreitig auf insgesamt 368.106 €.
Mit Bescheid vom 08.12.2014 setzte der Beklagte gegen die Klägerin eine Erbschaftsteuer in Höhe von 96.090 € unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 03.09.2015 als unbegründet zurückwies. Die Klägerin unterliege als Vorerbin der Erbschaftbesteuerung wie eine Vollerbin (§ 6 Abs. 1 ErbStG) ohne Besonderheiten, da sie zivilrechtliche Gesamtrechtsnachfolgerin geworden sei. Damit sei sie zivilrechtlich Eigentümerin des gesamten Nachlasses geworden. Dies gelte unabhängig davon, ob der Vorerbe den gesetzlichen Beschränkungen der §§ 2113 bis 2115 BGB unterliege oder hiervon teilweise befreit sei. Auch bei der Bewertung des Nachlasses seien diese Verfügungsbeschränkungen nicht zu berücksichtigen, da sie zu den persönlichen Verhältnissen des Vorerben gehören würden (§ 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 Abs. 2 und 3 BewG). Auch wenn die Klägerin bei wirtschaftlicher Betrachtung eher einem Nießbraucher nahe komme, ändere dies an der erbschaftsteuerlichen Einordnung nichts, da die Erbschaftsteuer an das Zivilrecht anknüpfe. Aufgrund der Stichtagsregelung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG komme es bei der Bewertung der Vermögens auch nicht darauf an, ob der Erwerber später tatsächlich über das Vermögen verfügen könne. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Besteuerung eines Vorerben wie ein Vollerbe bestünden nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BFH nicht. Allein der Wille des Erblassers, sei...