Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Abgrenzung der Änderungsvorschriften der §§ 70 Abs. 2, 70 Abs. 3 EStG und § 173 AO
Leitsatz (redaktionell)
§ 70 Abs. 2 EStG setzt voraus, dass zunächst ein zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßiger Kindergeldbescheid ergeht, nachträglich aber die Voraussetzungen der Gewährung von Kindergeld wegfallen.
§ 70 Abs. 3 EStG betrifft dagegen Fälle, in denen der Kindergeldbescheid von Anfang an objektiv rechtswidrig war.
Ein Aufhebungsbescheid, mit dem die Kindergeldzahlung aufgehoben wird, "konsumiert" die Befugnis der Familienkasse, wegen ihr zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids bekannter veränderter Verhältnisse den Aufhebungszeitraum später durch weitere Aufhebungsbescheide auszudehnen.
Sind sowohl die Voraussetzungen des § 70 Abs. 3 EStG als auch die des § 173 AO erfüllt, schließt § 70 Abs. 3 EStG die Anwendung des § 173 AO aus.
Normenkette
EStG § 70 Abs. 2-3; AO 1977 § 173
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger der Rückforderung von Kindergeld den Einwand der Entreicherung entgegenhalten kann.
Der Kläger ist Vater dreier Kinder: A, geboren 03.05.1970, B, geboren 28.03.1975 und C, geboren 01.11.1978. Er bezog für den Sohn A aufgrund Kindergeldbescheids vom 21.10.1994 (Blatt 110 der Kindergeldakte) bzw. 29.11.1994 (Bl. 122 KG-Akte) Kindergeld. Dieses war befristet bis März 1997. Der Bescheid war dem Kläger nicht bekanntgegeben worden.
A ist seit Juli 1995 verheiratet.
Mit Verfügung vom 16.06.1997 hob der Beklagte die Kindergeldbewilligung für den Sohn A ab dem Monat April 1997 auf. Als Rechtsgrundlage führte er § 70 Abs. 2 EStG an. Zur Begründung führte er aus, daß A verheiratet sei und die Hälfte des Nettoeinkommens seines Ehegatten die Einkommensgrenze von 12.000,– DM übersteige, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist.
Der Kläger legte gegen den Bescheid rechtzeitig Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren änderte der Beklagte den Bescheid mit Verfügung vom 28.08.1998. Mit diesem Bescheid hob er die Kindergeldfestsetzung für A ab Januar 1996 bis März 1997 auf und forderte das zuviel gezahlte Kindergeld i.H.v. 4.500,– DM zurück. Die Rechtsbehelfsbelehrung strich der Beklagte durch und setzte an deren Stelle den Hinweis, daß dieser Bescheid gemäß § 365 AO zum Gegenstand des anhängigen Einspruchsverfahrens werde.
Mit Einspruchsentscheidung vom 10.06.1999 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus:
Aus der Unterhaltsleistung der Ehefrau und dem eigenen zu berücksichtigenden Einkommen des Kindes A errechne sich ein Gesamtbetrag i.H.v. 12.702,– DM für 1996 und 13.891,– DM für 1997. Damit überschreite der Sohn A die in den Streitjahren geltenden Grenzbeträge, so daß kein Anspruch auf Kindergeld bestehe. Die Erstattungspflicht ergebe sich aus § 37 Abs. 2 AO.
Mit der Klage trägt der Kläger vor:
Die Rückforderung des zuviel gezahlten Kindergeldes sei rechtswidrig, da er entreichert sei. Bereits mit Schreiben vom 23.09.1998 sei der Beklagte darauf hingewiesen worden, daß er – der Kläger – schon mit der Erklärung über die Einkünfte und Bezüge vom 21.05.1996 darauf hingewiesen hatte, daß sein Sohn A verheiratet sei und darüberhinaus dessen Ehegatte ein monatliches Gehalt von 3.000,– DM erhalte. Er habe immer sämtliche Fragen wahrheitsgemäß beantwortet. Er habe deshalb darauf vertrauen dürfen, daß die ihm ausgezahlten Kindergeldbeträge rechtmäßig seien. Er habe daher mit dem erhaltenen Kindergeld seine Kinder finanziell unterstützt. Eigene Aufwendungen habe er insoweit nicht erspart, da die nachfolgend aufgeführten Beträge verständlicherweise nicht aus seinem eigenen Vermögen gezahlt worden wären. Für den Sohn A habe er im Zeitraum von Anfang 1996 bis März 1997 Zahlungen i.H.v. 4.795,50 DM erbracht. Dabei handele es sich im Einzelnen um Studiengebühren i.H.v. 900,– DM, Semestertickets i.H.v. 372,50 DM, die Anschaffung von Büchern für das Studium i.H.v. 800,– DM, Zubehörteile für eine PC-Anlage i.H.v. 2.123,– DM sowie diverse Kleinbeträge i.H.v. 600,– DM. Ohne die Zahlung des Kindergeldes wären diese Investitionen nicht getätigt worden. Er sei mithin entreichert im Sinne von § 818 Abs. 3 BGB.
Für den Fall, daß diese Vorschrift nicht einschlägig sei, sei der Beklagte auch aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes sowie von Treu und Glauben gehindert, den Betrag zurückzufordern. Insoweit beziehe er sich auf den BFH-Beschluß vom 27.04.1998 (VII B 296/97).
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 16.06.1997 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 28.08.1998 und die Einspruchsentscheidung vom 10.06.1999 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Seiner Auffassung nach greift der Gedanke der Entreicherung im öffentlich-rechtlichen Erstattungsverfahren nicht ein.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Anfechtungsklage ist überwiegend begründet.
Der Änderungsbescheid vom 28.08.1998 und die Einspruchsentscheidung vom 10.06.1999 sin...