rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer. nationales Visum „D”
Leitsatz (redaktionell)
1. § 62 Abs. 2 EStG in der ab dem 1.3.2020 anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019 (EStG n. F.) knüpft den Kindergeldanspruch an den Besitz bestimmter Aufenthaltstitel nach dem AufenthG, die zur Erwerbstätigkeit und damit zu einem dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigen.
2. § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG n.F. ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass auch ein nationales Visum „D”) nach § 6 Abs. 3 AufenthG in den Anwendungsbereich der Norm einzubeziehen ist, wenn es mindestens sechs Monate gültig ist und zu einer Beschäftigung berechtigt.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 2 Nr. 2; AufenthG § 6 Abs. 3, § 18b Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1
Tenor
1. Der Bescheid vom …12.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom …01.2022 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, für die Klägerin für den Zeitraum Juni 2021 bis Oktober 2021 Kindergeld für das Kind M. in Höhe von monatlich je 219 EUR festzusetzen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist der Kindergeldanspruch für den Zeitraum Juni 2021 bis Oktober 2021. Insbesondere stellt sich die Frage, ob die Klägerin bereits in diesem Zeitraum im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 62 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) gewesen ist.
Die Klägerin ist die Mutter des Kindes M., geb. am …01.2012. Sie und ihr Kind besitzen die weißrussische Staatsangehörigkeit. Der leibliche Vater des Kindes lebt in Weißrussland. Die Klägerin reiste im Juni 2021 zusammen mit M. in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie verfügte dabei über ein Visum „D” für den Zeitraum 01.06.–30.11.2021. Das Visum enthielt eine Beschäftigungserlaubnis nach § 18b Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) für eine Tätigkeit im Forschungsprojekt … bei der Firma T. GmbH am Standort D. (Blatt 31 der Kindergeldakte).
Die Klägerin beantragte bei der Beklagten am …07.2021 für M. ab Juni 2021 Kindergeld (Blatt 1 der Kindergeldakte).
Am …11.2021 erteilte der Landkreis … der Klägerin für die Zeit vom 04.11.2021 bis 01.04.2024 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18b Abs. 1 AufenthG (Blatt 45 der Kindergeldakte).
Mit – hier nicht streitgegenständlichem – Bescheid vom …11.2021 setzte die Beklagte für M. ab November 2021 Kindergeld fest (Blatt 60 der Kindergeldakte). Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am …12.2021 Einspruch ein (Blatt 65 der Kindergeldakte), den die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom …12.2021 als unzulässig verwarf (Blatt 77 der Kindergeldakte).
Mit weiterem – hier streitgegenständlichen – Bescheid vom …12.2021 lehnte die Beklagte für die Monate Juni 2021 bis Oktober 2021 den Antrag auf Kindergeld ab (Blatt 72 der Kindergeldakte). Sie begründete die Entscheidung damit, dass für die Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis erst seit November 2021 vorliege.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am …01.2022 Einspruch ein (Blatt 82 der Kindergeldakte). Sie verweist in ihrer Begründung auf das ihr erteilte Einreisevisum „D” mit Beschäftigungserlaubnis.
Mit Einspruchsentscheidung vom …01.2022 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück (Blatt 90 der Kindergeldakte). Das Visum sei kein Aufenthaltstitel im Sinne des § 62 Absatz 2 Einkommensteuergesetz (EStG). Das Visum „D” berechtige grundsätzlich nicht zu einem dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, sondern lediglich zu einer Einreise zum Zwecke eines längerfristigen Aufenthalts von längstens drei Monaten. Die später erteilte Aufenthaltserlaubnis begründe keine Rückwirkung für den Zeitraum des Aufenthalts mittels Visums „D”.
Die Klägerin hat am …01.2022 Klage erhoben und am …02.2022 einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt.
Sie ist der Ansicht, dass die Beklagte irre, wenn diese davon ausgehe, dass vorliegend das Visum längstens 3 Monate gelte. Die Familienkasse übersehe dabei die Beschäftigungserlaubnis gemäß § 18b Abs. 1 AufenthG, die bereits im Mai 2021 mit dem Visum erteilt worden sei. Von einer erst später erteilten Erlaubnis könne daher keine Rede sein. Auch werde die Klägerin politisch verfolgt und sei bei Rückkehr erheblichen Gefahren ausgesetzt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom …12.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom …01.2022 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin auch für den Zeitraum Juni 2021 bis Oktober 2021 Kindergeld für das Kind M. zu gewähren und
die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist im Wesentlichen a...