Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung unter Widerrufsvorbehalt durch das FA nach Stellung des Aussetzungsantrags beim FG. Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 1990 bis 1994
Leitsatz (amtlich)
Ein bei Gericht gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist auch dann unzulässig, wenn das FA die AdV unter Widerrufsvorbehalt erst nach gerichtlicher Antragstellung verfügt (vgl. BFH-Beschluss v. 12.5.2000 VI B 266/98, BStBl II 2000, 536).
Normenkette
FGO § 69 Abs. 4 S. 1, Abs. 3; AO 1977 § 361 Abs. 2
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Antragsgegner (das Finanzamt – FA–) hat nach Stellung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) bei Gericht mit Bescheid vom 27. Juni 2001 die Hinterziehungszinsen in vollem Umfang, jedoch unter Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs von der Vollziehung ausgesetzt und die Hauptsache für erledigt erklärt. Die Antragsteller haben der Hauptsacheerledigung widersprochen.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Die Antragsteller beantragen,
die Vollziehung des Zinsbescheids vom 26. April 2000 in Höhe von 430 DM wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit ohne Widerrufsvorbehalt auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
II.
Der Antrag ist unzulässig.
1. Nachdem das FA mit Bescheid vom 27. Juni 2001 und damit nach Antragstellung bei Gericht den streitigen Betrag in Höhe von 430 DM von der Vollziehung ausgesetzt hat, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für die von den Antragstellern nach wie vor begehrte AdV nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch das Gericht. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass das FA die Vollziehung formularmäßig unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs ausgesetzt hat. Denn solange das FA von dem Widerrufsvorbehalt keinen Gebrauch macht, können die Antragsteller durch eine zusätzlich vom Gericht verfügte AdV keine für sie günstigere Rechtsposition erlangen. Die Antragsteller haben nicht vorgetragen noch ist es dem Vortrag des FA zu entnehmen, dass derzeit ernsthaft mit einem Widerruf der AdV durch das FA zu rechnen ist. Allein die theoretische Möglichkeit, dass das FA die AdV widerrufen könnte, rechtfertigt die Inanspruchnahme des Gerichts zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. Wie sich aus § 124 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) ergibt, brauchen die Antragsteller eine Vollziehung des angefochtenen Zinsbescheides solange nicht zu befürchten, wie der Bescheid über die AdV nicht widerrufen worden ist. Eines gerichtlichen Rechtsschutzes bedürfen sie daher solange nicht. Erst dann, wenn das FA von dem Widerrufsvorbehalt nach § 131 Abs. 2 Nr. 1 AO Gebrauch gemacht hat, besteht wieder ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf AdV durch das Gericht. Der Senat folgt mit dieser Wertung der von den Finanzgerichten Düsseldorf (Beschluss vom 5. Januar 1979 VIII 385/78 A, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 1979, 144; Beschluss vom 22. März 1978 XIII 468/77 A, EFG 1978, 451) und Hessen (Beschluss vom 14. März 1977 B VII 3/77, EFG 1977, 445) vertretenen Auffassung (zustimmend auch Tipke/Kruse, AO und FGO, § 69 FGO Rz. 63; Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 FGO Rz. 270).
Nicht für überzeugend hält der Senat dagegen die Gegenauffassung, die insbesondere vom Bundesfinanzhof (BFH) vertreten wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10. März 1970 II S 39/68, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1970, 385; vom 12. Juni 1986 IX B 64/83, BFH/NV 1986, 682) und die sich auch die Antragsteller zu Eigen gemacht haben. Diese Auffassung, die sich darauf beruft, dass eine AdV durch die Verwaltungsbehörde unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs nicht das Anliegen des Antragstellers erledige, von einer Vollziehung unabhängig von dem Standpunkt der Verwaltung geschützt zu sein, verkennt, dass ein Widerruf der AdV auch bei Vorhandensein eines Widerrufsvorbehalts nicht im freien Ermessen der Verwaltung steht, sondern nur dann zulässig ist, wenn sich die Sach- und Rechtslage geändert hat (vgl. Schöll/Leopold/Madle/Rader, Abgabenordnung, § 120 Rz. 3). Hat sich aber die Sach- und Rechtslage geändert, so kann nicht nur eine unter Widerrufsvorbehalt vom FA verfügte AdV widerrufen werden, sondern gemäß § 69 Abs. 6 Finanzgerichtsordnung (FGO) ebenso eine vom Finanzgericht ausgesprochene AdV, was vom FA auch beantragt werden kann. Solange sich die Sach- und Rechtslage jedoch nicht geändert hat, ist der Steuerpflichtige von Vollziehungsmaßnahmen des FA im Falle einer vom FA unter Widerrufsvorbehalt verfügten AdV ebenso geschützt wie im Falle einer AdV durch das Finanzgericht.
Die hier vertretene Auffassung steht in Einklang mit der vom BFH im Beschluss vom 12. Mai 2000 VI B 266/98, BStBl II 2000, 536 entschiedenen Frage, dass dann, wenn das FA die AdV unter dem Vorbehalt des Widerrufs gewährt hat, die Zugangsvoraussetzunge...