Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterziehungszinsen und Vorsatz bei Steuerhinterziehung
Leitsatz (redaktionell)
1. Voraussetzung für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen ist die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Straftatbestands einer vollendeten Steuerhinterziehung.
2. Die objektive Beweislast (Feststellungslast) für das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung trägt die Finanzbehörde.
3. Wenn der Steuerpflichtige mangels eigener Sachkunde ohne weitere Prüfung die Steuererklärungen unterzeichnet und dem ihm als sachkundig und zuverlässig bekannten Steuerberater vertraut, ist dies ein Umstand, der gegen die Annahme eines bedingten Vorsatz spricht.
4. Nicht jede Berufung auf die Einschaltungen eines Steuerberaters berechtigt zu Zweifeln am Vorsatz.
Normenkette
AO §§ 235, 370 Abs. 1, § 371; FGO § 69 Abs. 3
Tenor
1. Die Vollziehung des Bescheids vom 2. September 2010 über die Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 2007 und 2008 wird in Höhe von 109 EUR für die Dauer des Klageverfahrens wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit ausgesetzt.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist im Hauptsacheverfahren (Az. 13 K 3476/10), ob die Festsetzung von Hinterziehungszinsen gegenüber dem Antragsteller (ASt) rechtmäßig ist.
Mit Schreiben vom 25. Mai 2010 übersandte der ASt dem Antragsgegner – dem Finanzamt (FA) – die Anlagen R zur Einkommensteuererklärung für 2007 und 2008 und wies darauf hin, dass versehentlich die Angabe der seit 1. April 2007 bezogenen Rente der berufsständischen Ärzteversorgung unterblieben sei. Das FA änderte die Einkommensteuerfestsetzungen und setzte mit Bescheid vom 2. September Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 2007 in Höhe von 11 EUR und zur Einkommensteuer 2008 in Höhe von 98 EUR fest. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2010) erhob der ASt Klage gegen die Festsetzung der Hinterziehungszinsen. Zur Begründung der Klage trägt er vor, dass die Renten ohne Vorsatz nicht erklärt worden seien und deshalb der Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht erfüllt sei.
Im Aktenvermerk vom 6. August 2010 hat die Bußgeld- und Strafsachenstelle des […] FA das Schreiben des ASt vom 25. Mai 2010 als strafbefreiende Selbstanzeige gemäß § 371 Abgabenordnung (AO) eingestuft und die Auffassung vertreten, dass der objektive und subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erfüllt sei.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2010, die Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Der Antragsteller beantragt, die Vollziehung des Bescheids vom 2. September 2010 über die Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 2007 und 2008 in Höhe von 109 EUR wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit auszusetzen.
Der Antragsgegner (Finanzamt) beantragt, den Antrag abzulehnen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag ist begründet.
1. Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung der Vollziehung (AdV) soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Solche Zweifel bestehen dann, wenn bei summarischer Überprüfung des Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (BFH-Beschlüsse vom 16. Juli 2009 VIII B 64/09, BStBl II 2010, 8; vom 14. Juli 2008 VIII B 176/07, BStBl II 2009, 117).
2. Nach diesem Maßstab hat der beschließende Senat ernstliche Zweifel daran, dass ein bedingt vorsätzliches Handeln des ASt angenommen werden kann.
a) Hinterzogene Steuern sind gemäß § 235 Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsen. Voraussetzung ist hierfür die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Straftatbestands einer vollendeten Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO. Die Feststellung der Straftat ist strafrechtliche Vorfrage der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhof – BFH – vom 5. März 1979 GrS 5/77, BStBl II 1979, 570; BFH-Beschluss vom 18. Dezember 1986 I B 49/86, BStBl II 1988, 213). Eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO liegt vor, wenn den Finanzbehörden seitens des Steuerpflichtigen über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht werden. Zu Recht gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass der objektive Tatbestand dadurch erfüllt ist, dass der ASt in seinen Einkommensteuererklärungen für 20...