Hinterziehungszinsen für verkürzte Vorauszahlungen neben Zinsen für hinterzogene Jahressteuer
Hintergrund: Nachmeldung nicht erklärter Einkünfte
Die Eheleute erstatteten für 2003 bis 2013 Selbstanzeigen und erklärten nicht versteuerte Auslandseinkünfte nach. Das FA änderte darauf die ESt-Bescheide und setzte für die hinterzogenen Steuern Hinterziehungszinsen fest. Die Hinterziehungszinsen für die Jahressteuer sind unstreitig.
Daneben setzte das FA auch Hinterziehungszinsen zu hinterzogenen ESt-Vorauszahlungen (einschließlich SolZ) fest. Das FG gab der Klage wegen Festsetzungsverjährung bzw. Ende des Zinslaufs teilweise statt.
Entscheidung: Keine unzulässige Doppelverzinsung
Auch hinterzogene ESt-Vorauszahlungen sind hinterzogene Steuern i.S. des § 235 AO und können Gegenstand einer eigenständigen Verzinsung sein (Abschn. 235 Nr. 2.1 AEAO). Das gilt auch, wenn (wie im Streitfall) ESt-Vorauszahlungen und die Jahressteuer des Veranlagungszeitraums, für den die Vorauszahlungen zu leisten gewesen wären, in gleicher Weise hinterzogen werden. Auch in diesem Fall sind die Jahressteuer und die Vorauszahlungen jeweils eigenständig zu betrachten und jeweils "hinterzogene Steuern" i.S. des § 235 Abs. 1 Satz 1 AO. Eine Ausnahme von dieser Systematik lehnt der BFH ab. Denn eine systemwidrige Doppelbelastung desselben Steueranspruchs mit Hinterziehungszinsen kann durch die Abgrenzung der Zinsläufe vermieden werden. Im Übrigen kommt der Hinterziehung der ESt-Vorauszahlungen ein eigener strafwürdiger Unrechtsgehalt (BFH v. 15.4.1997, VII R 74/96, BStBl II 1997, 600) und ein abgrenzbarer eigenständiger Zinsvorteil zu, der nach § 235 AO abzuschöpfen ist.
Vermeidung der Doppelverzinsung durch Abgrenzung der Zinsläufe
Die verkürzte Jahreseinkommensteuer umfasst zwar der Höhe nach auch hinterzogene Vorauszahlungsbeträge des Veranlagungszeitraums, für den die Vorauszahlungen zu leisten gewesen wären. Denn die hinterzogene Jahressteuer ist (nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG) nur um die Vorauszahlungen zu mindern, die tatsächlich geleistet wurden. Auch die Bemessungsgrundlage der zu verzinsenden hinterzogenen Jahressteuer umfasst daher betragsmäßig auch die Vorauszahlungen. Trotz dieser betragsmäßigen Überschneidung der Bemessungsgrundlagen kann eine unzulässige Doppelverzinsung desselben hinterzogenen ESt-Teilbetrags vermieden werden, wenn die den Festsetzungen zugrunde liegenden Zinsläufe wie folgt voneinander abgegrenzt werden:
- Der Zinslauf für die Hinterziehungszinsen zu den Vorauszahlungen nach § 235 Abs. 2 und Abs. 3 AO beginnt zum jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitstag i.S. des § 37 Abs. 1 Satz 1 EStG (10.03./10.06./10.09./10.12., d.h. mit dem Eintritt der Verkürzung) und endet in dem Zeitpunkt, in dem nach § 235 Abs. 2 AO der Zinslauf für die Hinterziehungszinsen zur verkürzten Jahressteuer beginnt.
- Für die hinterzogene Jahressteuer beginnt der Zinslauf nach § 235 Abs. 2 Halbsatz 1 AO entweder mit der Bekanntgabe des unzutreffenden Jahressteuerbescheids oder bei Festsetzung einer Abschlusszahlung darin mit deren Fälligkeit (§ 36 Abs. 4 Satz 1 EStG i.V.m. § 235 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 AO).
- Von einem Beginn der Verzinsung des Jahressteueranspruchs und damit Ende des Zinslaufs für die Hinterziehungszinsen zu den Vorauszahlungen ist jedoch auch (falls dieser Zeitpunkt vor der Bekanntgabe des Jahressteuerbescheids oder der Fälligkeit der Abschlusszahlung liegt) aus teleologischen Gründen auszugehen, wenn der Karenzzeitraum i.S. des § 233a Abs. 2 Satz 1 AO für die hinterzogene Jahressteuer endet und die Vollverzinsung des Jahressteueranspruchs gemäß § 233a AO beginnt.
Hinterziehungsvorsatz hinsichtlich der Vorauszahlungen
Bei der Hinterziehung von ESt-Vorauszahlungen reicht es für den (bedingten) Vorsatz aus, wenn der Täter Einkünfte erzielt, die keinem Steuerabzug unterliegen, ihm gegenüber deshalb regelmäßig Vorauszahlungen festgesetzt werden und ihm bekannt ist, dass bei der unvollständigen Angabe der Einkünfte in der ESt-Erklärung für einen früheren Veranlagungszeitraum diese Einkünfte auch für die Festsetzung oder Anpassung der künftigen Vorauszahlungen nicht berücksichtigt werden. Die sichere Kenntnis, in welcher konkreten Höhe künftige ESt-Vorauszahlungen verkürzt werden, ist für den Hinterziehungsvorsatz nicht erforderlich. Im Streitfall ist von einem entsprechenden Vorsatz hinsichtlich der Vorauszahlungen auszugehen. Denn die Eheleute haben durchgehend die ausländischen Einkünfte nicht angegeben. Aus den Vorauszahlungsbescheiden war für sie ohne weiteres erkennbar, dass die Vorauszahlungen hätten höher festgesetzt werden müssen. Eine strafrechtliche Verurteilung wegen der Hinterziehung ist für die Festsetzung der Hinterziehungszinsen nicht erforderlich (BFH v. 24.5.2000, II R 25/99, BStBl II 2000, 378).
Hinweis: Kein Verfassungsverstoß
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des gesetzlichen Zinssatzes von 6 % (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO) bestehen für die im Streitfall betroffenen Verzinsungszeiträume nicht (Anschluss an BVerfG v. 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, DStR 2021, 1934). Die Verzinsungszeiträume umfassen im Streitfall Quartale aus den Veranlagungszeiträumen 2005 bis 2008, 2010 und 2012.
Den Einwand, die Festsetzung von Hinterziehungszinsen für hinterzogene Vorauszahlungen als Folge der Nichtangabe von Einkünften in der Jahreserklärung für ein Vorjahr beruhe auf einer einheitlichen Tathandlung und begründe daher einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung weist der BFH zurück. Das Recht, wonach niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden darf (Art. 103 Abs. 3 GG), greift nur ein, wenn es um die Verhängung einer weiteren echten Kriminalstrafe geht (BFH v. 20.2.2019, X R 28/17, BStBl II 2019, 430, Rz 26). Hinterziehungszinsen haben indes keinen Strafcharakter.
BFH Urteil vom 28.09.2021 - VIII R 18/18 (veröffentlicht am 09.12.2021)
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