Entscheidungsstichwort (Thema)
Ansatz von Spekulationsgewinnen aus der Veräußerung von Wertpapieren in 1995. Einkommensteuerbescheid als Grundlagenbescheid für Nachzahlungszinsen und Solidaritätszuschlag. Einkommensteuer. Solidaritätszuschlag. Zinsen zur Einkommensteuer
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch im Jahr 1995 war für Veräußerungsgeschäfte mit Wertpapieren ein vergleichbares Vollzugsdefizit gegeben, wie es das BVerfG im Urteil vom 9. März 2004 2 BvL 17/02 in den Jahren 1997 und 1998 festgestellt hat. Der Senat hält es indes für das Jahr 1995 für ausgeschlossen, dass das BVerfG § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG für Wertpapiergeschäfte für nichtig erklären würde. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass trotz gleichheitswidrigen Vollzugsdefizits dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist zugebilligt würde, die das Jahr 1995 mit umfasst und innerhalb der die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG wegen des rechtsstaatlichen Kontinuitätsgebots noch anzuwenden ist.
2. Der Einkommensteuerbescheid ist Grundlagenbescheid für den Zinsbescheid.
3. Der Einkommensteuerbescheid ist Grundlagenbescheid für die Festsetzung des Solidaritätszuschlags.
Normenkette
EStG § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b; GG Art. 3 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 2-3; AO 1977 § 233a; SolZG § 1 Abs. 5
Nachgehend
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist der Ansatz von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften (Spekulationsgewinnen aus der Veräußerung von Wertpapieren).
Nach den Angaben in der Einkommensteuererklärung bezog die Antragstellerin (Ast) im Streitjahr (1995) Einkünfte aus Kapitalvermögen und sonstige Einkünfte (Witwenrente). Erklärungsgemäß setzte der Antragsgegner (das Finanzamt -FA-) die Einkommensteuer im Einkommensteuerbescheid vom 25. April 1997 auf 25.478 DM fest. Mit Änderungsbescheiden vom 16. April 1999 und 25. August 1999 wurde die Einkommensteuer auf zuletzt 28.899 DM erhöht.
Mit Schreiben vom 4. Januar 2002 meldete die Ast u.a. Spekulationsgewinne und -verluste für die Jahre 1993-1998 nach. In einem weiteren Schreiben der steuerlichen Vertreterin vom 12. August 2002 wurde der Spekulationsgewinn des Jahres 1995 mit 223.306,97 DM beziffert. Daraufhin teilte die BNV-Stelle des FA mit Schreiben vom 1. Juni 2004 mit, dass sie den Steuerfall gem. § 88 Abgabenordnung -AO- (Einzelermittlung) überprüfe. In der Folge setzte das FA die Steuer mit Einkommensteuerbescheid 1995 vom 22. Dezember 2004 auf 146.226 DM bzw. 74.764,17 EUR fest. Hierbei berücksichtige es die nachgemeldeten Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (Spekulationsgewinne) in Höhe von 223.306 DM.
Gegen diesen Bescheid legte die Ast mit Schreiben vom 19. Januar 2005 Einspruch ein. In der Begründung wurde darauf hingewiesen, dass die Besteuerung von Spekulationsgewinnen bei Wertpapieren nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. März 2004 2 BvL 17/02 (BFH/NV Beilage 2004, 293) in den Jahren 1997 und 1998 verfassungswidrig sei. Diese Entscheidung sei auch auf das Streitjahr anzuwenden, da in diesem Jahr ebenfalls eine Durchsetzung des Steueranspruchs im Rahmen der Vorschrift des § 23 Einkommensteuergesetz (EStG) aufgrund fehlender Vorgaben des Gesetzgebers nicht gegeben gewesen und somit der Gleichheitssatz verletzt sei. Zugleich wurde die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Einkommensteuerbescheids beantragt.
Mit Bescheid vom 26. Januar 2005 lehnte das FA den AdV-Antrag ab. Dagegen erhob die steuerliche Vertreterin mit Schreiben vom 2. Februar 2005 Einspruch. Zur Begründung wurde auf den Vortrag im Einspruchsverfahren der Hauptsache Bezug genommen. Im Rahmen der Einspruchsbearbeitung stellte das FA fest, dass die angesetzten Einnahmen aus Kapitalvermögen nach Aktenlage lediglich mit 83.913 DM statt wie bisher mit 111.804 DM zu berücksichtigen sind. Mit Bescheid vom 9. Februar 2005 setzte es die Einkommensteuer 1995 und die steuerlichen Nebenleistungen deshalb in folgendem Umfang von der Vollziehung aus:
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Einkommensteuer |
7.565,59 EUR |
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Zinsen zur Einkommensteuer |
3.473,00 EUR |
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Solidaritätszuschlag |
567,42 EUR |
Im Übrigen blieb der Einspruch ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung -EE- vom 4. März 2005). Über den Einspruch in der Hauptsache ist noch nicht entschieden.
Im an das Gericht gerichteten Schriftsatz vom 9. März 2005 vertritt die Ast die Auffassung,dass die Ablehnung des AdV-Antrags durch das FA zu Unrecht erfolgt sei. Zur Begründungträgt sie im Wesentlichen die bereits im Einspruchsverfahren vorgetragenen Gründe vor. Ausdem Urteil des BVerfG vom 9. März 2004 (BFH/NV Beilage 2004, 293) ergebe sich eindeutig, dass für die Jahre 1995 und 1996 die gleichen Maßstäbe anzuwenden seien wie für die Jahre 1997 und 1998. Die dem Gesetzgeber zuzubilligende Übergangszeit umfasse nichtmehr das Jahr 1995, da die verfassungsrechtliche Lage für ...