Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohnsitz. Kindergeld, leichtfertige Steuerverkürzung, Verjährung
Leitsatz (redaktionell)
1. Aufgrund der Aufgabe seines inländischen Wohnsitzes (§ 8 AO) und des Fehlens eines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland (§ 9 AO) war der Kläger mit der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit im Juli 2006 in Großbritannien nicht mehr anspruchsberechtigt.
2. Mit dem nach § 31 S. 3 EStG als Steuervergütung gewährten Kindergeld erlangte der Kläger für sich einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil (§ 370 Abs. 4 S. 2 i. V. m. § 378 Abs. 1 AO).
3. Der Ablauf der Festsetzungsfrist war gehemmt, da die Verfolgung der vom Kläger begangenen Steuerordnungswidrigkeit noch nicht verjährt war. „Handlung” war im Streitfall das Unterlassen der Mitteilung an die Familienkasse über den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen (vgl. § 8 OWiG), das für die Weitergewährung des Kindergeldes bis zur letztmaligen Zahlung im Januar 2012 kausal war.
Normenkette
EStG § 70 Abs. 2, § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 3; AO § 1 Abs. 1, § 155 Abs. 4, § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, S. 2, § 378 Abs. 1, § 370 Abs. 1, § 384
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist noch die Rückforderung von Kindergeld für den Zeitraum Juli 2006 bis Dezember 2007.
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und seit 1. November 2001 mit M, einer US-amerikanischen Staatsangehörigen, verheiratet. Für seine Tochter A, geboren am 20. Juli 2002, erhielt der Kläger laufend Kindergeld.
Im Rahmen eines Datenabgleichs mit der Meldebehörde wurde der Beklagten (Familienkasse) bekannt, dass A nicht mehr in Deutschland gemeldet war. Auf entsprechende Anfrage mit Schreiben der Familienkasse vom 12. Januar 2012 teilte der Kläger mit Schreiben vom 6. Februar 2012 bzw. 24. Januar 2012 mit, dass er mit seiner Ehefrau und Tochter beruflich bedingt zwei Haushalte habe, zwischen denen regelmäßig hin- und her gependelt werde. Es handle sich um einen Haushalt im Inland sowie einen Haushalt in London, Großbritannien. Er sei in Deutschland gemeldet. Laut Bestätigung der … School in London vom 30. Mai 2012 besuche seine Tochter ununterbrochen seit September 2006 die Schule in London. Nach der Beendigung der Schulzeit werde seine Tochter ausschließlich in Deutschland leben. Laut Bestätigung der englischen Behörden vom 14. Juni 2012 sei für A kein englisches Kindergeld (Child Benefit) gezahlt worden. Er arbeite seit 1. Juli 2006 als selbständiger Architekt in London und stehe in Deutschland in keinem Angestelltenverhältnis (vgl. Antrag bzw. Schreiben des Klägers an die Familienkasse vom 30. Mai 2012 und 19. Juli 2012). Seine Ehefrau sei die alleinige Hauptverdienerin der Familie. Er verbringe jedoch jährlich regelmäßig sechs Monate in Neubiberg.
Im Rahmen eines Steuerstrafverfahrens gegen den Kläger wurde unter anderem festgestellt, dass die Ehefrau des Klägers Eigentümerin der in den USA und in Großbritannien ansässigen Firma ABC Partners ist. Bei der Immobilie im Inland handelt es sich um das Haus der Eltern des Klägers. Das Einwohnermeldeamt der Gemeinde teilte mit, dass der Kläger bis 29. April 2007 unter der Anschrift MMM und bis 31. August 2008 unter der Anschrift NNN gemeldet war und dann nach London gezogen ist. Die Ehefrau des Klägers und die gemeinsame Tochter waren vom 1. Juli 2008 bis 31. August 2008 unter der Anschrift NNN einwohnermelderechtlich gemeldet, der Zuzug und Wegzug war aus/nach London erfolgt. Das Einwohnermeldeamt der Stadt MMM teilte mit, dass der Kläger vom 15. November 1996 bis 29. April 2007 unter der Anschrift JJJ einwohnerrechtlich gemeldet war. Seine Ehefrau und die Tochter waren dort vom 20. Juni 2003 (Ehefrau) bzw. 18. Oktober 2002 (Tochter) bis 29. April 2007 einwohnermelderechtlich angemeldet.
Das Finanzamt teilte mit, dass der Kläger für die Jahre 1997 bis einschließlich 2003 Einkommensteuererklärungen eingereicht hatte.
Mit Bescheid vom 20. Dezember 2012 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergelds für den Zeitraum Juli 2006 bis Januar 2012 auf und forderte Kindergeld von insgesamt 11.288 EUR zurück.
Im dagegen gerichteten Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, dass die Festsetzungsfrist für das in den Jahren 2006 bis 2007 gezahlte Kindergeld mit Ablauf der Jahre 2010 bzw. 2011 abgelaufen sei. Er habe nach wie vor seinen Wohnsitz im Inland, insbesondere betreue er bei seinen Aufenthalten seine pflegebedürftigen Eltern. Aus den Bescheinigungen der Architektenkammer gehe hervor, dass er seit Jahren für eine Rentenanwartschaft einzahle. Da seine Ehefrau US-amerikanische Staatsbürgerin sei, habe sie keinen Anspruch auf englisches Kindergeld, wie sich aus der Bescheinigung E 411 ergebe. Der Einspruch hatte jedoch keinen Erfolg, er wurde mit Einspruchsentscheidung vom 11. September 2014 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit seiner Klage verfolgt der Kläger hinsichtlich der Aufhebung und Rückforderung des Kindergelds für den Zeitraum Juli 2006 bis Dezember 2007 sein Ziel weiter. ...