Entscheidungsstichwort (Thema)

Nach Bestandskraft eines Umsatzsteuerbescheides werden erstmals Kürzungsbeiträge nach § 1 Abs. 1 bis 4 Berlin FG geltend gemacht: Rückwirkendes Ereignis i.S. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO - Grobes Verschulden im Sinne von § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die aufgrund eines Antrags nach § 8 BerlinFG erteilte Ursprungsbescheinigung erfüllt die Merkmale des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beim westdeutschen Abnehmer, weil sie als Tatbestandsmerkmal unmittelbar rechtsgestaltend auf die Steuerschuld des westdeutschen Unternehmers rückwirkend einwirkt. § 8 BerlinFG gestattet eine Rückwirkung in Bezug auf den Steuerbescheid des westdeutschen Unternehmers, wenn der der Ursprungsbescheinigung zugrundeliegende Antrag nach dessen Bestandskraft gestellt wird, weil der westdeutsche Unternehmer von der Antragstellung durch den Berliner Unternehmer mangels eigenen Antragsrecht abhängig ist.

2. Ist dagegen das Gestaltungsrecht eines in Berlin (West) ansässigen Steuerpflichtigen nicht von dem Verhalten eines westdeutschen Abnehmers abhängig und steht es diesem Steuerpflichtigen bei der Gestaltung seiner eigenen steuerlichen Verhältnisse frei, den Antrag nach § 8 BerlinFG zu stellen oder nicht, so wirkt das Gestaltungsrecht nicht auf eine Änderung des in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalts der Herstellung in Berlin (West) zurück, sondern war auf die zukünftige Erlangung von Ursprungsbescheinigungen gerichtet.

3. Grobes Verschulden i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO am nachträglichen Bekannt werden einer Tatsache liegt vor, wenn im Umsatzsteuererklärungsvordruck für das Jahr 1989 ausdrücklich die Frage nach Kürzungsbeträgen nach dem BerlinFG gestellt wurde und der Steuerpflichtige hierzu keine Angaben gemacht hat.

4. Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde als unbegründet zurückgewiesen (BFH-Beschluss vom 18.01.2001 Az. V B 173/00, BFH/NV 2001, 889).

 

Normenkette

AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 2, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; BerlinFG §§ 8, 1 Abs. 1-4

 

Tatbestand

Streitig ist, ob das beklagte Finanzamt verpflichtet ist, die Umsatzsteuer(USt)-Festsetzungen 1988 und 1989 nach Bestandskraft zugunsten der Klägerin zu ändern.

Die Klägerin ist eine GmbH. Gegenstand ihres Unternehmens ist der Im- und Export sowie der Vertrieb von elektronischen Bauelementen und -gruppen, insbesondere die Erstellung und Ausführung von Tests sowie Meßspezifikationen jeglicher Art an vorgenannten Gegenständen. Während der Streitjahre hatte sie ihren Sitz in ... (West).

Die USt-Erklärungen 1988 und 1989, in denen die Klägerin eine USt von 99.256,40 DM für 1988 und 80.320,20 DM für 1989 errechnete, standen Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Mit Bescheid vom 15. April 1991 hob das Finanzamt für Körperschaften ... den Vorbehalt der Nachprüfung bezüglich USt 1989 auf. Die USt-Festsetzungen 1988 und 1989 wurden bestandskräftig.

Am 27. Dezember 1994 gingen beim Finanzamt für Körperschaften ... berichtigte USt-Erklärungen für die Jahre 1988 und 1989 nebst Anlage UR und Vordruck USt 61 (... Wertschöpfung für das Wirtschaftsjahr 1988/89) ein, in denen die Klägerin erstmals Kürzungsbeträge nach ... § 1 Abs. 1 bis 4 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) in Höhe von 97.108,32 DM für das Jahr 1988 und 270.914,21 DM für das Jahr 1989 geltend machte.

Mit Bescheid vom 6. März 1995 (ohne Rechtsmittelbelehrung) lehnte das Finanzamt für Körperschaften ... diesen Antrag auf Änderung der USt-Festsetzungen 1988 und 1989 ab. Der Einspruch hiergegen blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung -- EE -- vom 6. August 1997, Bl. 26 ff FG-Akte).

Die dagegen gerichtete Klage begründet die Klägerin im wesentlichen wie folgt:

In den Jahren 1984 bis 1988 habe die ... (...-GmbH) integrierte Schaltungen, linear oder kombiniert, als Einzelhalbleiter oder in Verpackungseinheiten bearbeitet. Im Jahre 1987 habe die Finanzverwaltung gegen den damaligen Geschäftsführer der ...-GmbH ein Steuerstrafverfahren mit der Begründung eingeleitet, das Testen von integrierten Schaltkreisen und Wafern erfülle nicht die Voraussetzungen der §§ 1 ff BerlinFG. Der Geschäftsführer ... sei in Untersuchungshaft genommen worden. Die ... GmbH sei deshalb gezwungen gewesen, den Geschäftsbetrieb einzustellen. Außerdem habe das Finanzamt für Körperschaften ... bezüglich der ...-GmbH Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gestellt und dabei eine USt-Forderung von über 30.000.000 DM, nämlich die gesamte USt-Präferenz für die Jahre 1984 bis 1987, geltend gemacht. Hinsichtlich des Sachverhalts bei der ...-GmbH biete sie Zeugenbeweis an.

Sie -- die Klägerin -- habe im Jahre 1988 Teile des Anlagevermögens und des Kundenstamms der ...-GmbH übernommen und sei deren technische Nachfolgerin. Unter dem Eindruck des Steuerstraf- und des Konkursverfahrens habe sie vorerst auf die Geltendmachung der USt-Präferenz verzichtet, um sich nicht selbst der Strafverfolgung auszusetzen. Außerdem hätten die übernommenen Großkunden von dem Fall gewußt und deshalb die ...

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