Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Antragstellung nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums gemäß § 66 Abs. 3 EStG in der Fassung des Steuerumgehungsbekämpfungsgesetzes. § 66 Abs. 3 EStG in der Fassung des Steuerumgehungsbekämpfungsgesetzes ist im Festsetzungsverfahren zu berücksichtigen
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Antragsteller trägt die objektive Beweislast (Feststellungslast) für den rechtzeitigen Eingang des Kindergeldantrags bei der Familienkasse.
2. Bei dem Sechsmonatszeitraum des § 66 Abs. 3 EStG in der Fassung des Steuerumgehungsbekämpfungsgesetzes handelt es sich nicht um eine gesetzliche Frist im Sinne des § 110 Abs. 1 Satz 1 AO.
3. Die Regelung in § 66 Abs. 3 EStG in der Fassung des Steuerumgehungsbekämpfungsgesetzes ist dem Festsetzungsverfahren zuzuordnen; sie wirkt rechtsbeendend und nicht lediglich rechtsbegrenzend. Dementsprechend bildet sie keine Grundlage dafür, einem Kindergeldberechtigten die Zahlung bestandskräftig festgesetzter Kindergeldansprüche zu verweigern, wenn § 66 Abs. 3 EStG nicht bereits im Festsetzungsverfahren berücksichtigt worden ist.
4. Ein Bescheid des Inhalts, dass das Kindergeld zwar festgesetzt, aber nicht gezahlt wird, ist widersprüchlich.
Normenkette
AO § 110; EStG § 66 Abs. 3 i.d.F. des Steuerumgehungsbekämpfungsgesetzes
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid über Kindergeld vom 15. Januar 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. März 2019 wird geändert. Die Familienkasse wird verpflichtet, das für den Zeitraum von Juni 2016 bis Mai 2018 festgesetzte Kindergeld auszuzahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob es die Beklagte (die Familienkasse) zu Recht gemäß § 66 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abgelehnt hat, das für den Streitzeitraum Juni 2016 bis Mai 2018 festgesetzte Kindergeld auszuzahlen.
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger, der im Streitzeitraum über einen Wohnsitz in Deutschland verfügte. Er ist Vater des am 9. Juni 2016 geborenen Kindes […], das mit ihm und der Kindsmutter, mit der der Kläger verheiratet ist, in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Mit Antrag vom 10. Juni 2017, per Fax eingegangen bei der Familienkasse am 31. Dezember 2018, beantragte der Kläger unter Beifügung der Anlage Kind und der Geburtsurkunde des Kindes die Festsetzung von Kindergeld. Im gleichfalls per Fax am 31. Dezember 2018 übermittelten Begleitschreiben von diesem Tag führte der Kläger aus, er habe den Antrag bereits am 11. Juni 2017 samt Anschreiben, Anlage Kind und Geburtsurkunde mit einem mit 1,45 EUR frankierten Fensterumschlag in den Briefkasten in A-Stadt am B-Platz eingeworfen, wie seiner Notiz auf der Kopie des damaligen Anschreibens vom 11. Juni 2017 zu entnehmen sei, die er beifüge. Da er inzwischen Zweifel habe, ob dieser Antrag bei der Familienkasse eingegangen sei, stelle er ihn vorsorglich erneut und beantrage zudem vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Insoweit trug der Kläger weiter vor, er habe seine Ehefrau, auf deren Konto die Kindergeldzahlung erfolgen sollte und die den Bescheid zugesandt erhalten sollte, im August 2017 gefragt, ob sie einen Kindergeldbescheid erhalten habe und das Kindergeld auf ihr Konto überwiesen worden sei. Beides habe seine Ehefrau bejaht. Auf seine Bitte, ihm eine Kopie des Bescheides für seine Unterlagen zu überlassen, habe sie darauf verwiesen, dass sich dieser in einem Karton befinde, den sie mit zu ihren Eltern nach B-Stadt genommen habe. Sie werde den Bescheid kopieren, sobald sie die in dem Karton befindlichen Unterlagen sortiert habe. Für ihn habe kein Anlass bestanden, an diesen Angaben zu zweifeln. Nachdem seine Ehefrau die Unterlagen am 28. Dezember 2018 aus B-Stadt wieder mitgebracht habe, habe sich herausgestellt, dass ein Kindergeldbescheid darin nicht auffindbar sei und seine Frau bisher auch kein Kindergeld überwiesen bekommen habe. Sie habe bei seiner Nachfrage im August 2017 das Kindergeld offenbar mit dem Betreuungsgeld, für das sie im Juli 2017 einen Bewilligungsbescheid erhalten habe, verwechselt. Diesen Sachverhalt versichere er eidesstattlich in Kenntnis der Strafbarkeit der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung.
Das Begleitschreiben vom 31. Dezember 2018 ist als Seite 1 und 2 in die für den Kläger unter der Kindergeldnummer […] geführte elektronische Akte überführt. Die weiteren per Fax am 31. Dezember 2018 übermittelten Unterlagen (Kopie des Anschreibens vom 11. Juni 2017 mit handschriftlichem Vermerk und des Kindergeldantrags vom 10. Juni 2017 mit Anlage Kind, Geburtsurkunde) befind...