Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlöschen einer Bevollmächtigung durch Bestellung eines neuen Bevollmächtigten oder durch Widerruf des Bevollmächtigten. Wirksamkeit einer öffentlichen Zustellung nach § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG bei aufgrund Haftbefehls untergetauchtem Steuerpflichtigen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei öffentlicher Zustellung
Leitsatz (redaktionell)
1. Zwar kann sich ein Beteiligter auch im Verwaltungsverfahren durch mehrere Bevollmächtigte vertreten lassen. Im Regelfall ist aber davon auszugehen, dass mit der Bestellung eines neuen Bevollmächtigten die Vollmacht des vorherigen Bevollmächtigten erloschen ist. Dies muss erst Recht angenommen werden, wenn der neue Bevollmächtigte eine umfassende Verfahrensvollmacht für alle steuerlichen Angelegenheiten einschließlich Zustellvollmacht erhält.
2. Eine Zustellvollmacht kann nicht nur durch Widerruf des Vollmachtgebers, sondern auch durch einseitige Verzichtserklärung seitens des Bevollmächtigten gegenüber dem Finanzamt enden.
3. Entzieht sich der Steuerpflichtige, gegen den ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet ist, seiner Verhaftung durch Flucht und hat auch der Bevollmächtigte jahrelang keinen Kontakt, so dass er dem Finanzamt das Erlöschen der Vollmacht anzeigt, kann das Finanazamt über den mehr als drei Jahre zuvor –wegen fehlendem Kontakt ohne Auftrag– zur Wahrung des Rechtsschutzes durch den Bevollmächtigten eingelegten Einspruch entscheiden und die Entscheidung öffentlich gem. § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG zustellen.
4. Erlangt der Steuerpflichtige erst nach erfolgter Inhaftierung Kenntnis von der durch öffentliche Zustellung bekannt gegebenen Einspruchsentscheidung, scheidet eine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist aus. Der Steuerpflichtige hat dafür Sorge zu tragen, dass er über den Stand des Einspruchsverfahrens informiert wird. Unterlässt er dies im Hinblick auf die Gefahr einer Festnahme, entlastet ihn das nicht.
Normenkette
VwZG § 15 Abs. 1 Buchst. a; AO § 122 Abs. 5, § 80; FGO §§ 47, 56
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist in formeller Hinsicht, ob die die Einkommensteuerfestsetzung 1991 betreffende
Einspruchsentscheidung vom 1. April 2004 durch öffentliche Zustellung wirksam bekannt
gegeben wurde.
Der Kläger war im Streitjahr 1991 als Bundesbeamter tätig.
Zum 1. Juli 1992 hatte der Kläger seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt. Mit Schreiben vom 7. Dezember 1995 benannte er seine Tochter S zur inländischen Empfangbevollmächtigten. Ende 1995 wurde gegen den Kläger wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Nachdem das Amtsgericht A die Untersuchungshaft angeordnet hatte, entzog sich der Kläger im Mai 1999 seiner Ergreifung durch Flucht. Da nach den Feststellungen der Steuerfahndung in einem Zwischenbericht vom 11. Mai 1999 von einer Steuernachzahlung in erheblicher Höhe auszugehen war, ordnete das Finanzamt den dinglichen Arrest an. Im Verlaufe dieses Verfahrens zeigte die Kanzlei O und R mit Schreiben vom 22. Juni 1999 an, dass der Kläger sie mit der Wahrnehmung seiner Interessen betraut habe und legte eine vom Kläger unterzeichnete Vollmacht zur Vertretung in steuerlichen Angelegenheiten, insbesondere Arrestanordnungen und Pfändungsangelegenheiten, vor. Mit Schreiben vom 24. November 1999 erklärte die Tochter S gegenüber dem Finanzamt, dass sie die auf sie ausgestellte Zustellvollmacht widerrufe.
Die Steuerfahndung stellte mit Bericht vom 21. November 2000 fest, dass der Kläger in 1991 für seinen Einsatz bei der Beschaffung von Genehmigungen für ein von dem Kaufmann S vermitteltes Geschäft Schmiergelder über mehrere Mio. DM erhalten haben soll, die er nicht in der Steuererklärung angegeben hatte. Mit Urteils des Landgerichts A vom 12. August 2005 wurde der Kläger wegen Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Das Finanzamt folgte den Feststellungen der Fahndungsprüfung mit nach § 173 Abs. 1 S. 1 AO geändertem Bescheid vom 21. Dezember 2000. Nachdem die Ehe des Klägers im Februar 1996 geschieden worden war, wurde der Bescheid dem Kläger und seiner vormaligen Ehefrau getrennt bekannt gegeben. Die für den Kläger bestimmte Ausfertigung wurde der Kanzlei O und R bekannt gegeben. Gegen diesen Bescheid wurde sowohl von den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers als auch von der vormaligen Ehefrau des Klägers Einspruch eingelegt. Die Verfahrensbevollmächtigten des Klägers teilten hierzu mit Schreiben vom 22. Dezember 2000 mit, dass sie nicht wüssten, ob und inwieweit sie derzeit noch vom Kläger beauftragt und bevollmächtigt seien. Seit der Bevollmächtigung Anfang Juni 1999 hätten sie keinerlei Kontakt mehr mit Kläger gehabt. Eine Klärung der Mandatierung und Bevollmächtigung sei daher weder bisher möglich gewesen noch sei sie derzeit möglich. ...