rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der wirtschaftlichen Eingliederung einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft bei Vermietung eines Betriebsgrundstücks. Inanspruchnahme der Organschaftsregelung durch die Organgesellschaft nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Organträgers nicht missbräuchlich
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die wirtschaftliche Eingliederung als Voraussetzung einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft genügt die Vermietung eines Betriebsgrundstückes, wenn dieses für die Organgesellschaft von nicht nur geringer Bedeutung ist, weil es die räumliche und funktionale Grundlage der Geschäftstätigkeit der Organgesellschaft bildet. Eine wirtschaftliche Eingliederung liegt daher vor, wenn das Betriebsunternehmen seine Tätigkeit aus innerbetrieblichen Gründen ohne das gemietete Grundstück nicht oder nur nach Überwindung von nicht nur unerheblichen Schwierigkeiten hätte fortsetzen können.
2. Die Berufung der Organgesellschaft auf die Sonderregeln für Organschaften ist auch dann nicht missbräuchlich, wenn das Finanzamt den Organträger nicht nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO zum Verfahren hinzugezogen hat und deswegen nach der Insolvenz des Organträgers nicht von seiner Aufrechnungsmöglichkeit mit seinem Haftungsanspruch gemäß § 73 AO Gebrauch machen konnte.
Normenkette
UStG § 2 Abs. 1, 2 Nr. 2 Sätze 1, 3; MwStSyStRL Art. 11 S. 1; AO §§ 42, 73 S. 1, § 174 Abs. 4, 5 S. 2
Tenor
1. Die auf die Änderungsanträge des Klägers vom 3. und 13. November 2014 ergangenen ablehnenden Bescheide für die Umsatzsteuer 2009 bis 2011 und insoweit die Einspruchsentscheidung vom 11. Mai 2020 werden aufgehoben sowie der Beklagte verpflichtet, die Umsatzsteuer für 2009 bis 2011 jeweils auf 0 EUR festzusetzen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte zu 91 Prozent und der Kläger zu 9 Prozent.
4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Die im Handelsregister des Amtsgerichts M eingetragene Gesellschaft wurde am 9. Juni 2008 als B-GmbH gegründet und mit Registereintrag vom 14. Oktober 2008 in die A GmbH (im Folgenden: GmbH) umfirmiert. Unternehmenszweck war die …. Der Sitz der Gesellschaft war in der E-Straße in K. Gesellschafter waren (im Folgenden: O) zu 95,30 Prozent und D zu 4,70 Prozent; alleiniger Geschäftsführer war ab dem 14. Oktober 2008 O. Sie versteuerte ihren Umsatz nach vereinbarten Entgelten.
Der Betrieb der GmbH ging aus dem Betrieb einer T-GmbH hervor. Sowohl die GmbH als auch die T-GmbH hatten ihren Sitz in K in der E-Straße. Kern des Geschäftskonzepts war der Betrieb einer sogenannten Verwertungsanlage mit der es durch vakuum-thermische Behandlungen von kontaminiertem Material (wie etwa Bodenaushub und Bauschutt) möglich war, dem verunreinigten Material die Schadstoffe zu entziehen. Die GmbH bot Ihren Kunden gegen ein – nach Schadstoffbelastung gestaffeltes – Entgelt die Abnahme kontaminierten Materials, die Beprobung, Behandlung in der Bodenbehandlungsanlage und die anschließende Verwertung und Entsorgung des Materials aus einer Hand an.
Die GmbH betrieb ihren Geschäftsbetrieb auf mehreren angemieteten Flächen, die sie von O und von ihrer Schwestergesellschaft T-GmbH angemietet hatte. Ab dem Jahr 2008 war nur noch die GmbH operativ tätig. Die T-GmbH hatte daher zum Zweck einer Betriebsaufspaltung Teile ihres Anlage- und Umlaufvermögens auf die GmbH übertragen. In der Präambel des Pacht- und Betriebsüberlassungsvertrags zwischen der T-GmbH und der GmbH vom 1. November 2008, den O als Geschäftsführer der GmbHs für bei Vertragsparteien unterschrieb, war dazu ausgeführt: „Die Verpächterin betreibt unter der Firma T-GmbH ein Unternehmen in K. Die Pächterin wird mit Wirkung vom 1. November 2008 als Betriebsgesellschaft das bisher von der Verpächterin betriebene Unternehmen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung führen.” In § 8 Abs. 2 dieses Vertrages ist zum Pachtzins u.a. ausgeführt: „… Die Verpächterin ist verpflichtet, die Umsatzsteuer in Rechnung zu stellen, sofern umsatzsteuerlich eine Organschaft zwischen Pächterin und Verpächterin nicht besteht.”
Die GmbH hatte ihre Büroräume, die sich ebenfalls in der E-Straße in K befanden, von O zu einem monatlichen Pachtzins von 6.700 EUR zzgl. Umsatzsteuer angemietet. In dem angemieteten Büro- und Verwaltungsgebäude war die Geschäftsführung, der Vertrieb und Marketing, die Qualitätssicherung, die Buchhaltung sowie das Sekretariat ansässig.
Über das Vermögen der GmbH wurde am 23. August 2013 das Insolvenzverfahren (Amtsgericht Az.:) eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde der Kläger bestellt.
Die GmbH hatte für das Jahr 2008 am 6. November 2009, für das Jahr 2009 am 11. Januar 2011, für das Jahr 2010 am 8. Februar 2012 Umsatzsteuer-Jahressteuerklärungen b...