Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsnatur der Weiterleitung des zu Unrecht bezogenen Kindergeldes an den anderen Elternteil
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Regelung in DA 64.4 Abs. 4 ff. der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs (DA-FamEStG, BStBl I 2004, 742), wonach der sich nach Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach § 37 Abs. 2 AO ergebende Rückforderungsanspruch gegenüber dem nachrangig Kindergeldberechtigten und der Kindergeldanspruch des vorrangig Berechtigten als erloschen behandelt werden, wenn Letzterer bescheinigt, das Kindergeld durch „Weiterleitung” erhalten zu haben, und er seinen Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld insoweit als erfüllt anerkennt, stellt eine Billigkeitsmaßnahme der Verwaltung nach § 163 AO dar, die als Ermessensentscheidung gemäß § 102 FGO nur eingeschränkt der gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Es liegt kein Fall eines öffentlich-rechtlichen Verrechnungsvertrages vor, bei dem die Weiterleitungsbestätigung als (bei Irrtum nach § 119 BGB anfechtbare) Willenserklärung zum Abschluss des Verrechnungsvertrages angesehen werden könnte.
2. Die Weiterleitungsbestätigung des vorrangig Kindergeldberechtigten ist eine außerprozessuale Verfahrenserklärung, die nicht widerrufen oder zurückgenommen werden kann. Sie ist nur dann unwirksam, wenn der Erklärende nicht handlungsfähig war oder wenn die Behörde ihn durch unlautere Mittel, z.B. durch Täuschung, Drohung oder bewusst falsche Auskunft, zur Abgabe der Erklärung veranlasst hat.
Normenkette
EStG § 64 Abs. 1, 2 S. 1; AO §§ 163, 174 Abs. 4, § 5 S. 2, § 37 Abs. 2, § 5; BGB § 119; FGO § 102
Tenor
1. Unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 11. November 2004 und der hierzu erlassenen Einspruchsentscheidung vom 8. März 2005 wird der Beklagte verpflichtet, auf die Rückforderung von Kindergeld in Höhe von 4.004 EUR zu verzichten.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin zur Erstattung des ihr für den Zeitraum von August 2002 bis September 2004 ausgezahlten Kindergeldes verpflichtet ist.
Die inzwischen geschiedene Klägerin wohnte bis Juli 2002 mit ihrem früheren Ehemann, Herrn …, und dem gemeinsamen Sohn M (geboren am 17. Dezember 1992) zusammen in einer Wohnung in …-Str. Die Klägerin bezog das Kindergeld für den Sohn. Im Juli 2002 zog die Klägerin aus der Ehewohnung aus und bezog eine im gleichen Haus gelegene Mansardenwohnung, die ihr bisher als Arbeitszimmer gedient hatte. M blieb in der Wohnung des Vaters. Im November 2003 zog die Klägerin aus der Dachgeschosswohnung aus und bezog eine Wohnung in der …-Str. Herr … beantragte im September 2004 das Kindergeld für M rückwirkend ab August 2002. Mit Weiterleitungsbestätigung vom 3. November 2004 – Eingang bei der Behörde am 5. November 2004 – bestätigte Herr … „unwiderruflich”, dass die Klägerin das Kindergeld für den Zeitraum August 2002 bis September 2004 weitergeleitet habe und er seinen Anspruch auf Kindergeld für den vorgenannten Zeitraum als erfüllt ansehe. Mit Telefax vom 10. November 2004 erklärte Herr …, dass er bitte, die Erklärung über die Weiterleitung als gegenstandslos zu betrachten, da er auf Grund von Falschinformationen die Erklärung als Voraussetzung für den rückwirkenden Erhalt des Kindergeldes angesehen habe. Mit Bescheid vom 11. November 2004 hob die beklagte Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für M ab August 2002 auf und forderte das für August 2002 bis September 2004 bezahlte Kindergeld in Höhe von 4.004 EUR zurück, da die Weiterleitungsbestätigung von Herrn … unmittelbar nach ihrer Vorlage für ungültig erklärt worden sei und deshalb nicht anerkannt werden könne. Der dagegen eingelegte Einspruch, mit dem die Klägerin insbesondere vorbrachte, die überwiegenden finanziellen Aufwendungen für den Sohn getragen zu haben, blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 8. März 2005).
Dagegen richtet sich die Klage. Die Klägerin trägt vor, sie habe M auch nach ihrem Auszug aus der ehelichen Wohnung versorgt. Obwohl sie in der Dachwohnung geschlafen habe, sei sie weiter in der Wohnung, in der M lebte, ein- und ausgegangen und habe den Haushalt versorgt. Wenn der Vater von M anwesend gewesen sei, habe sie sich in der Wohnung nicht aufhalten können. Dann sei sie häufig mit M ins Restaurant oder ins Café gegangen. Sie habe für ihren Sohn Kleidung, Schulbücher usw. gekauft und die Kosten des Horts in Höhe von 80 EUR monatlich getragen. Auch habe sie sich mit monatlich 250 EUR an den Mietkosten der Wohnung von Herrn … beteiligt. Dieser habe hingegen keinen adäquaten Beitrag geleistet. Insgesamt habe sie sogar mehr Geld für den Unterhalt des Sohnes aufgewendet, als das von ihr bezogene Kindergeld ausgem...