Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Kirchensteuerpflicht durch Wiedereintritt in die Evangelisch-lutherische Kirche in Bayern. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: X R 28/22)
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Kirchensteuer ist eine Mitgliedsteuer und zugleich eine Verbandslast. Wer Angehöriger einer Kirche oder Religionsgemeinschaft in Bayern ist, bestimmt sich nach innerkirchlichem Recht. Über Bestand und Inhalt dieses Rechts hat gemäß § 155 FGO in Verbindung mit § 560 ZPO das Finanzgericht als Tatsacheninstanz zu entscheiden.
2. Sehen die innerkirchlichen Regelungen ein formalisiertes Verfahren zur Begründung der Kirchenmitgliedschaft vor, haben staatliche Stellen lediglich zu prüfen, ob im Einzelfall das Verfahren zur Aufnahme in die Kirche nach den innerkirchlichen Bestimmungen erfolgreich vollzogen wurde. Die Feststellungslast (objektive Beweislast) für die Tatsachen, die vorliegen müssen, um einen Steueranspruch geltend machen zu können, und damit unter anderem für die den Steuertatbestand begründende Tatsache der Kirchenangehörigkeit, trägt die den Steuergläubiger repräsentierende Behörde; der in Anspruch genommene Steuerpflichtige trägt hingegen die Feststellungslast für Tatsachen, die Steuerbefreiungen oder -ermäßigungen begründen oder den Steueranspruch aufheben oder einschränken.
3. Ist jemand aus einer kirchensteuererhebungsberechtigten Kirche nach den maßgeblichen Vorschriften wirksam ausgetreten, so kann kirchensteuerrechtlich seine erneute Kirchenzugehörigkeit nur angenommen werden, wenn feststeht, dass er nach den kirchenrechtlichen Vorschriften rechtswirksam in die Kirche wieder aufgenommen worden ist.
4. Hat die betreffende Kirche ein spezielles Eintrittsrecht erlassen, das einzuhaltende Förmlichkeiten regelt, ist nach einem wirksamen Kirchenaustritt ein die Kirchensteuerpflicht begründender Wiedereintritt durch konkludentes (schlüssiges) Verhalten nicht möglich.
5. Wurde von der Evangelisch-lutherischen Kirche ein Verzeichnis der Wiedereintritte in Form von Karteikarten geführt, erbringt eine Karteikarte, in der der Name des Geistlichen nicht genannt ist, der die Aufnahme vollzogen hat, nicht bereits als öffentliche Urkunde im Sinne des § 415 Abs. 1 ZPO vollen Beweis im Sinne des § 418 Abs. 1 ZPO über die darin als eigene Wahrnehmung der Behörde/Urkundsperson bezeugte Tatsache des wirksam vollzogenen Wiedereintritts des Klägers.
6. Die Karteikarte erfüllt jedoch als unselbstständiger Teil des in dem betreffenden Jahr von dem Kirchengemeindeamt als Sammlung von Karteikarten und damit als Gesamturkunde geführten Verzeichnisses über unter anderem alle Wiedereintritte im Dekanatsbezirk auch dann den Urkundsbegriff, wenn die Karten nicht fortlaufend nummeriert sind. Durch die räumliche feste, wenn auch nicht unauflösliche Zusammenfassung in einem Karteikasten und die fortwährende Pflege der fraglichen Karteikarten durch das Kirchengemeindeamt besteht ein entsprechender, über deren jeweiligen beschränkten Inhalt hinausgehender, Sinnzusammenhang.
7. Das die Karteikarte beinhaltende Verzeichnis wurde vom Kirchengemeindeamt als kirchlicher Behörde und jedenfalls insoweit – im Rahmen und in Ausübung seiner Eigenschaft als Kirchenbuchführer – auch als öffentlicher Behörde im Sinne des § 415 Abs. 1 ZPO geführt. Die Einordnung des Kirchengemeindeamtes als öffentliche Behörde ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil kirchliche Amtsträger grundsätzlich nicht vom Amtsträgerbegriff im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB – und damit als natürliche Person – erfasst sind.
8. Das Kirchengemeindeamt handelte bei Erstellung der Karteikarte im Rahmen seiner Amtsbefugnis als öffentliche Behörde, wenn es als Verwaltungsbehörde des Dekanatsbezirks – dem Zusammenschluss der Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden in der Region – sachlich für die Führung der Kirchenbücher im Sinne der KirchenbuchO 1923 zuständig war.
9. Es ist von einem Wiedereintritt entsprechend den Angaben der Karteikarte auszugehen, wenn sich der Kläger unmittelbar anschließend bei seiner kirchlichen Heirat sowie später gegenüber Einwohnermeldeämtern, einer Kirchengemeinde und gegenüber dem Finanzamt bei Einreichung von Einkommensteuererklärungen jeweils mit der Konfessionsangabe „evangelisch” erklärt und die dadurch entstandenen, nicht unerheblichen Kirchensteuerzahlungen geleistet hat. Keine Bedenken hinsichtlich der entsprechenden Beweiswirkung der Karteikarte folgen hierbei aus der – aufgrund der vorliegenden Organisation der Kirchengemeinden in der Region zwangsläufigen- fehlenden Personenidentität zwischen dem Wahrnehmenden (hier: der Geistliche, welcher die Wiederaufnahme vollzogen hat) und dem Ersteller der Karteikarte als Urkunde (hier: Beschäftigter des Kirchengemeindeamtes) sowie aus der Angabe einer unzutreffenden Postleitzahl und eines falsch geschriebenen Geburtsorts des Klägers.
10. Eine Wiederaufnahme gemäß § 8 KGliedG 1965 eines gemäß § 7 Abs. 1 KGliedG 1965 aus der Kirche Ausgetretenen kann auch dann wirksam gemäß de...