Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Klage, wenn Beteiligter der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Rechtsirrtum über Verfahrensfragen
Leitsatz (redaktionell)
1. Verfügt ein Beteiligter nicht über eine ausreichende Kenntnis der deutschen Sprache und versäumt er deshalb die Klagefrist, muss dieser Umstand bei der Prüfung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand angemessen berücksichtigt werden.
2. Im Übrigen hat der der Amtssprache nicht mächtige Beteiligte jedoch dieselben Sorgfaltspflichten wie jeder andere Beteiligte.
3. Ein Rechtsirrtum über Verfahrensfragen kann bei einem rechtsunkundigen Steuerpflichtigen zur Wiedereinsetzung in den vorige Stand führen. Bei berufsmäßigen Vertretern (z.B. Steuerberater) begründet die mangelnde Kenntnis über verfahrensrechtliche Fristen dagegen grundsätzlich einen Verschuldensvorwurf. Hier kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur ausnahmsweise in Betracht.
Normenkette
FGO §§ 47, 54-56; AO §§ 87, 122; VwZG § 9; ZPO § 222; BGB §§ 187-188
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Überlassung der von der Klägerin eingeführten MP3-Player zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren zu Recht wegen des Verdachts einer Patentrechtsverletzung ausgesetzt wurde.
Die Klägerin führte am 2. Dezember 2006 230 Stück MP3-Player aus C über das Hauptzollamt (HZA) in die Europäische Gemeinschaft ein. Diese sollten anschließend im Rahmen eines Versandverfahrens nach P weiterbefördert werden. Da nach einer Überprüfung der MP3-Player der Verdacht bestand, dass diese ein Patentrecht der Firma S verletzen, setzte das HZA die Überlassung der Waren mit Bescheid vom 4. Dezember 2006 aus.
Den gegen die Aussetzung der Überlassung eingelegten Einspruch wies das HZA mit seiner Einspruchsentscheidung vom 5. April 2007 als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung war mit folgender Rechtsbehelfsbelehrung versehen:
„Gegen diese Entscheidung können Sie Klage bei dem Finanzgericht (…) schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erheben. Die Klage ist gegen das Hauptzollamt zu richten. Die Frist für die Erhebung der Klage beträgt einen Monat. Sie beginnt mit Ablauf des Tages, an dem Ihnen diese Entscheidung bekannt gegeben worden ist. (…) Bei Zustellung (…) mittels Einschreibens mit Rückschein (…) wird die Entscheidung am Tag der Zustellung bekannt gegeben. Die Frist gilt als gewahrt, wenn die Klage beim Hauptzollamt innerhalb der Frist angebracht oder zur Niederschrift gegeben wird (…)”.
Die Einspruchsentscheidung wurde der Klägerin per Einschreiben mit Rückschein am 11. April 2007 zugestellt.
Die hiergegen gerichtete Klage ging am 31. Mai 2007 beim HZA ein. Die Klägerin wendet ein, die Waren seien nicht für den deutschen Markt bestimmt gewesen. Ein Verdacht reiche für eine Zurückhaltung der Waren nicht aus. Die Firma S sei nicht ihr Ansprechpartner. Außerdem habe diese die 20-Tages-Frist bezüglich der Feststellung der Rechtsverletzung nicht eingehalten. Mit Schreiben vom 9. April 2008 ergänzte die Klägerin, die Klagefrist habe sie versäumt, weil sie die in deutscher Sprache verfassten Schreiben der Behörde erst habe übersetzen lassen müssen, um diese verstehen und beantworten zu können.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid über die Aussetzung der Überlassung vom 4. Dezember 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 5. April 2007 aufzuheben und das HZA zu verpflichten, die Waren an das Zollamt X freizugeben.
Das HZA beantragt,
die Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen.
Die Klage sei erst nach Ablauf der Klagefrist eingegangen und damit unzulässig. Im Übrigen sei die Überlassung zu Recht ausgesetzt worden. Die Firma S habe einen Antrag auf Tätigwerden der Zollbehörden bezüglich patentgeschützter Geräte mit MP 3-Funktion beantragt, dem stattgegeben worden sei. Bei der Überprüfung der streitigen Sendung habe der Verdacht bestanden, dass die Waren ein Patentrecht der Firma S verletzen. Der Rechtsinhaber habe fristgemäß mitgeteilt, dass er ein gerichtliches Verfahren zur Feststellung der Rechtsverletzung eingeleitet habe.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Klage ist nicht zulässig, weil die Klagefrist nicht eingehalten worden ist.
a) Gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beträgt die Frist für die Erhebung einer Anfechtungsklage einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf.
Die Bekanntgabe erfolgt gem. § 122 Abs. 5 Satz 1 der Abgabenordnung 1977 (AO) im Wege der Zustellung, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist oder behördlich angeordnet wird. Vorliegend ist die Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein gem. § 122 Abs. 5 Satz 2 AO i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) am 11. April 2007 bewirkt worden.
Die Klagefrist hat demnach gem. § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 187 Abs. 1 des Bürgerli...