rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzugelassenes Medikament zur Behandlung einer unheilbaren Krankheit als außergewöhnliche Belastung. Nichtzugelassenes Medikament zur Behandlung einer unheilbaren Krankheit als a.o. Belastung.. Einkommensteuer 1994
Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen für ein sich noch in der Erprobungsphase befindliches und in Deutschland nicht zugelassenes Medikament, das speziell auf die Behandlung einer bisher unheilbaren Krankheit (hier: das Präparat DSG für Multiple Sklerose) zugeschnitten ist und dessen Wirksamkeit im Zeitpunkt der Anwendung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft für möglich bzw. nicht völlig ausgeschlossen gehalten wird, können als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig sein. Ein Abstellen auf die Beihilfevorschriften oder die Erstattungsrichtlinien der Krankenkassen ist in derartigen Fällen nicht sachdienlich.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 2, 1
Tenor
1. Der Einkommensteuerbescheid 1994 vom 24.10.1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.9.2000 wird dahingehend geändert, dass die Einkommensteuer auf 0 DM herabgesetzt wird.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob Aufwendungen für ein Medikament als außergewöhnliche Belastung in Abzug gebracht werden können.
Die Kläger (Kl) sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kl ist von Beruf pensionierter Lehrer, die Klägerin (Klin) selbständige Reisekauffrau. Die Klin leidet unter Multipler Sklerose (im Folgenden: MS), mit chronisch-progredientem Verlauf. Im Streitjahr 1994 wohnten die Kl noch in S. (PLZ: …). Seit 1996 werden sie in … zur Einkommensteuer veranlagt.
In der Einkommensteuererklärung 1994 machten die Kl u. a. Aufwendungen für eine Testbehandlung der Klin bei Prof. Dr. … (im Folgenden: F) in … mit einem neuen Präparat (Deoxyspergualin, im Folgenden: DSG) gegen die Krankheit der Klin in Höhe von 25.000 DM zuzüglich Fahrtkosten für eine Fahrt nach … in Höhe von 520 DM (1000 km à 0,52 DM) sowie eine Behinderten-Jahreskarte für Schwimmen als Therapie in Höhe von 60 DM als außergewöhnliche Belastung geltend. In einem zusammen mit der Einkommensteuererklärung vorgelegten Schreiben vom 27.11.1994, auf das Bezug genommen wird, bestätigt F, dass er den Betrag von 25.000 DM als „Zuwendung für einen Forschungszuschuss in Verbindung mit einer Behandlung am 16.5.1994” erhalten habe. Auf dieses Schreiben wird Bezug genommen.
Nach den Angaben in der Einkommensteuererklärung war die Klin im Streitjahr zu 80 % behindert. Mit Schreiben vom 20.7.1999 wurde mitgeteilt, dass sie inzwischen auf den Rollstuhl angewiesen sei.
Im Einkommensteuerbescheid 1994 des Finanzamts W. vom 24.10.1996, in dem die Einkommensteuer auf 3.384 DM festgesetzt wurde, wurde dieser Betrag (25.580 DM) nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt. Während des Einspruchsverfahrens teilten die Kl mit, dass mit dem Präparat DSG in den USA, wo es zum damaligen Zeitpunkt zugelassen gewesen sei, bereits erste Behandlungserfolge erzielt worden seien. In Deutschland sei es nicht zugelassen gewesen.
Da von F eine detailliertere Rechnung nicht zu erlangen war, reichten die Kl im Einspruchsverfahren eine Bescheinigung ihres Hausarztes (Dr. M.) vom 18.2.1997 nach, in der vermerkt ist, dass sich das Mittel DSG in den Jahren 1994/95 in der Erprobungsphase befand, die von der Fa. Behring in Marburg finanziert worden sei. Die teilweise hoffnungsvollen ersten Ergebnisse hätten ihn veranlasst, der Klin zu empfehlen, es mit DSG zu versuchen. Gesundheitsminister Seehofer habe dieses Medikament dann aber Anfang 1996 doch nicht zugelassen und sich für „Beta-Inferon” entschieden, so dass die Klin die Kosten für die Behandlung selbst habe tragen müssen.
Ferner wurde im Einspruchsverfahren mitgeteilt, dass die Klin F die 25.000 DM auf dessen Verlangen hin in bar ausgehändigt habe. Den Betrag hätten die Kl aus der Auszahlung einer Lebensversicherung finanziert. Bei der Behandlung selbst habe es sich um 4 viertägige Infusionsbehandlungen gehandelt. Die Klin sei Testpatientin gewesen.
Die Beihilfestelle habe die Erstattung endgültig verweigert, weil das Medikament in Deutschland nicht zugelassen worden sei. Ebenso habe die Krankenkasse unter Verweisung auf die Entscheidung der Beihilfestelle eine Zahlung verweigert.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Mit der durch den Beklagten (Finanzamt –FA–) erlassenen Einspruchsentscheidung (EE) vom 19.9.2000 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der Klage wird vorgetragen, dass die bisherige Rechtsprechung, die auf eine amtliche Zulassung der Medikamente abstelle, nicht auf unheilbare Krankheiten angewandt werden könne. Aus einem Bericht des Spiegel in der...