Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch einer als Flüchtling nach Deutschland gekommenen Kurdin nach Assoziationsratsbeschluss Nr. 3/80 bzw. deutsch-türkischem Abkommen. Kindergeld. Ausländer. Assoziationsratsbeschluß 3/80. Kindergeldfestsetzung ab August 1996
Leitsatz (amtlich)
1. Eine türkische Staatsangehörige mit kurdischer Volkszugehörigkeit, die als Flüchtling und Asylbewerber nach Deutschland gekommen ist und nach rechtskräftiger Ablehnung ihres Asylantrags nur über eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG, nicht aber über eine Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis verfügt, ist weder nach § 62 Abs. 2 EStG noch nach Art. 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 3/80 vom 19.9.1990 kindergeldanspruchsberechtigt.
2. Sie hat auch keinen Kindergeldanspruch nach Art. 33 des deutsch-türkischen Abkommens (über die soziale Sicherheit-BGBl II 1965, 1169, BGBl II 1986, 1040), wenn nur ihr Ehemann in Deutschland sovialversicherungspflichtig beschäftigt ist und sie nur über ihren Ehemann als Familienangehörige kranken- und pflegeversichert ist.
3. Unter den Anwendungsbereich des Assoziationsabkommens EWG/Türkei und des auf dieser Grundlage ergangenen Assoziationsratsbeschlusses 3/80 fallen nur Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung nach den §§ 28, 29 AuslG, nicht aber Personen „nur” mit einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG, denen die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland nicht gestattet worden ist.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 2 S. 1; AuslG § 30; AO 1977 § 2; Deutsch-türkisches Abkommen über die soziale Sicherheit Art. 33; Beschluss Nr. 3/80 vom 19.9.1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1; AuslG §§ 29, 28
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 21.11.2002; Aktenzeichen VIII R 31/02) |
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Kindergeld für ihre sechs Kinder hat.
Die Klägerin und ihr Ehemann sind türkische Staatsangehörige mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Die Eheleute haben sechs Kinder, die zwischen 1986 und 1993 geboren sind. Die Klägerin ist mit ihrem Ehemann im Jahr 1988 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat hier Asyl beantragt. Der Asylantrag ist mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 19. Dezember 1990 rechtskräftig abgelehnt worden. Mit Bescheid des Ausländeramtes der Stadt Landshut vom 9. April 1991 wurden die Klägerin und ihr Ehemann unter Androhung der zwangsweisen Abschiebung aufgefordert, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Der Bescheid wurde jedoch nicht vollzogen. Vielmehr erhielten die Eheleute am 24. September 1996 eine bis 19. September 1997 befristete Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Ausländergesetz (AuslG). Der Ehemann der Klägerin ist seit 2. September 1996 als Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die Klägerin ist über ihren Ehemann als Familienangehörige kranken- und pflegeversichert.
Am 26. September 1996 beantragte die Klägerin Kindergeld. Den Antrag lehnte das beklagte Arbeitsamt – Familienkasse – mit Bescheid vom 7. Oktober 1997 ab. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Am 14. Februar 1997 stellte die Klägerin erneut einen Kindergeldantrag, den der Beklagte mit Bescheid vom 7. April 1997 ablehnte, weil die Klägerin nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sei und damit nicht die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld nach § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfülle. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 10. Juni 1997).
Dagegen richtet sich die Klage. Die Klägerin ist der Auffassung, der Ausschluss türkischer Staatsangehöriger, die nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sind, vom Kindergeld verstoße gegen vorrangig zu beachtende europarechtliche Regelungen, insbesondere gegen das Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) im Urteil vom 4. Mai 1999 in der Rechtssache C-262/96 (EuGHE I 1999, 2685) habe dieser Beschluss unmittelbare Wirkung und führe zu einem Kindergeldanspruch der Klägerin. Daneben ergebe sich auch ein Kindergeldanspruch der Klägerin aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über die soziale Sicherheit – sog. deutsch-türkisches Abkommen – vom 30. April 1964 (Bundesgesetzblatt – BGBl – II 1965, 1169), geändert durch das Zwischenabkommen vom 25. Oktober 1975 (BGBl II 1975, 373) und das Zusatzabkommen vom 2. Nove...