Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenbeweis zu in Postzustellungsurkunde beurkundeten Tatsachen
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist in einer Postzustellungsurkunde beurkundet, dass der Steuerbescheid beim zuständigen Postamt niedergelegt wurde und eine Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung in den Hausbriefkasten eingelegt wurde, kann die darin liegende Beweiskraft lediglich dadurch entkräftet werden, dass Tatsachen substantiiert vorgetragen werden, die den beurkundeten Sachverhalt widerlegen bzw. einen abweichenden Geschehensablauf darlegen. Die bloße Behauptung, dass eine entsprechende Benachrichtigung nicht im Hausbriefkasten vorgefunden wurde, genügt diesen Anforderungen nicht.
2. Ist davon auszugehen, dass der Steuerbescheid in den Machtbereich des Steuerpflichtigen gelangt ist, reicht eine derartige Begründung auch nicht aus, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Normenkette
VwZG § 3 Abs. 3, §§ 182, 418; AO §§ 110, 125, 162 Abs. 1
Gründe
I.
Die Klägerin (Klin) ist von Beruf technische Zeichnerin und bezog im Streitjahr 1995 sowohl Einkünfte aus nichtselbständiger als auch aus selbständiger (gewerblicher) Tätigkeit. Mit Schreiben vom 1.12.1995 hatte sie mitgeteilt, dass sie seit 1.5.1995 als Angestellte tätig sei. In der Zeit davor war sie wie in den Vorjahren selbständig tätig (Zeichenbüro). Ihre Wohnung befand sich im Streitjahr in der A-Str. in B.
Nachdem die Klin zunächst keine Einkommensteuererklärung abgegeben hatte, schätzte der Beklagte (Finanzamt -FA-) die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Einkommensteuer 1995 mit Bescheid vom 24.7.1997 auf 9.628 DM fest. Diesem Bescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging, lagen geschätzte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 30.000 DM und aus Gewerbebetrieb in Höhe von 20.000 DM zu Grunde. In der Postzustellungsurkunde vom 25.7.1997 ist vermerkt, dass der Postbedienstete bei seinem Zustellversuch niemand angetroffen und deshalb eine Benachrichtigung über die beim Postamt in B vorzunehmende Niederlegung – wie bei gewöhnlichen Briefen üblich – in den Hausbriefkasten eingelegt habe. Nachdem die Klin den beim Postamt niedergelegten Bescheid nicht abgeholt hatte, wurde dieser am 27.10.1997 wieder an das FA zurückgesandt.
Dem Einkommensteueränderungsbescheid 1995 vom 8.7.1998 lagen erneut geschätzte Besteuerungsgrundlagen zu Grunde (Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit: 35.000 DM, Einkünfte aus Gewerbebetrieb: 26.000 DM). Hierdurch wurde die Einkommensteuer auf 13.367 DM heraufgesetzt. Auch dieser Bescheid, mit dem der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde, wurde nicht mit normalem Brief, sondern mit Zustellungsurkunde zur Post gegeben. Der Zustellungsversuch in der Wohnung der Klin scheiterte ebenfalls. Wie sich aus der Zustellungsurkunde ergibt, wurde der Bescheid am 9.7.1998 beim Postamt niedergelegt und der Klin eine Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung in den Hausbriefkasten eingelegt. Dieser Bescheid wurde ebenfalls nicht beim Postamt abgeholt. Aus auf dem Umschlag angebrachten Stempelaufdrucken ergibt sich, dass der Bescheid am 10.10.1998 an das FA zurückgesandt wurde und dort am 13.10.1998 einging.
Am 9.11.1998 ging beim FA die Einkommensteuererklärung der Klin ein. Hierin wurden u. a. für die Zeit vom 1.1. – 30.4.1995 Einkünfte aus dem Zeichenbüro in Höhe von ./. 3.154 DM und für die Zeit vom 1.5. – 31.12.1995 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 40.409 DM erklärt. Letzteres entsprach den Angaben in der ebenfalls vorgelegten Lohnsteuerkarte. Die Steuererklärung war wie in den Vorjahren unter Zuhilfenahme des steuerlichen Beraters der Klin (Prozessbevollmächtigter) gefertigt worden. Ebenso hatte die Klin wie in den Vorjahren für die Zeit ihrer selbständigen Tätigkeit Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben.
Daraufhin erließ das FA am 24.11.1998 einen neuen Einkommensteuerbescheid, der nunmehr an den steuerlichen Berater adressiert und mit einfachem Brief bekanntgegeben wurde. In diesem Bescheid wurden zwar die (höheren) Steuerabzugsbeträge angerechnet, die in der Lohnsteuerkarte ausgewiesen sind. Die Festsetzung der Einkommensteuer blieb jedoch unverändert. In den Erläuterungen des Bescheides ist aufgeführt, dass dem Antrag (auf Änderung i. S. der Steuererklärung) nicht stattgegeben werden könne, da die Einspruchsfrist abgelaufen sei.
Wie sich einem Schreiben des steuerlichen Vertreters vom 10.11.1998, mit dem er Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1995 vom 8.7.1998 einlegte und ersatzweise Antrag auf Wiedereinsetzung stellte, entnehmen lässt, wurde ihm vom FA am 27.10.1998 u. a. der Einkommensteuerbescheid 1995 vom 8.7.1998 per Fax übermittelt. Ferner wurde in diesem Schreiben mitgeteilt, dass die Klin im Jahr 1998 den Arbeitgeber gewechselt habe. Das bisherige Arbeitsverhältnis sei zum 30.8.1998 aufgelöst worden. Freigestellt von der Arbeit sei die Klin jedoch bereits seit 1.5.1998 gewesen. In den Monaten Juli und August 1998 habe die Klin mit Unterbrechungen Urlaub gem...