Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unterlassener Belehrung einer nicht fachkundigen Mitarbeiterin des Steuerpflichtigen über die bei Ablauf der Klagefrist erforderlichen Maßnahmen
Leitsatz (redaktionell)
1. War im Einspruchsverfahren eine fachkundige Kanzlei für den Kläger tätig, hat sich aber der Kläger die Erhebung einer Klage gegen die Einspruchsentscheidung persönlich vorbehalten, ohne seine – in juristischen Dingen nicht fachkundige – Büroangestellte über diesen Sachverhalt oder darüber zu informieren, was überhaupt bei Fristablauf allgemein zu tun ist, so ist von einem – die Wiedereinsetzung ausschließenden – Organisationsverschulden des Klägers auszugehen, wenn deswegen die Büroangestellte am letzten Tag der Klagefrist den Vorgang nicht dem Kläger persönlich vorgelegt, sondern den zuständigen Anwalt der im Einspruchsverfahren tätigen Kanzlei per mail über den unmittelbar bevorstehenden Fristablauf informiert hat, und wenn wegen Abwesenheit des Rechtsanwalts an diesem Tag die Klagefrist versäumt worden ist.
2. Gemäß § 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO muss sich der Beteiligte das Verschulden seines Bevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen. Das Verschulden von nicht Vertretungsberechtigten Hilfspersonen ist ihm jedoch nicht zuzurechnen. Zu diesem Personenkreis zählen die Angestellten eines Gewerbetreibenden. Der Beteiligte bleibt aber – wie im Streitfall – für die Fristwahrung soweit persönlich verantwortlich, als er das Verschulden seiner Hilfspersonen dann zu vertreten hat, wenn er bei ihrer Auswahl und Beaufsichtigung schuldhaft gehandelt hat
Normenkette
FGO § 47 Abs. 1, § 56 Abs. 1-2, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist zu gewähren ist.
Der Kläger legte gegen die Einkommensteuerbescheide für 1999 und 2000 fristgerecht Einsprüche ein. Mit Schreiben vom 2. Mai 2008 zeigte die Kanzlei R., H., Ro. gegenüber dem Beklagten (nachfolgend: das Finanzamt) die anwaltschaftliche Vertretung des Klägers an und übersandte eine vom Kläger am 30. April 2008 unterzeichnete Vollmachtsurkunde. Der Sozietät wurde darin Vollmacht wegen der Steuerbescheide 1998 – 2006 des Klägers erteilt. Das Finanzamt entschied über die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 15. Oktober 2008 und stellte sie der Kanzlei R., H., Ro. am 16. Oktober 2008 und zusätzlich dem Kläger persönlich am 17. Oktober 2008 jeweils mit Postzustellungsurkunde zu. In einem Telefongespräch am 18. November 2008 wies das Finanzamt auf die bereits abgelaufene Klagefrist hin. Der Kläger erhob mit Telefax vom 1. Dezember 2008, das an diesem Tag beim Finanzgericht einging, Klage und beantragte gleichzeitig hinsichtlich der Klagefrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Zur Begründung trug er in dem von ihm selbst gefertigten Schriftsatz vor, die Sozietät R., H., Ro. sei lediglich zum Empfang der Post berechtigt gewesen und habe die Einspruchsentscheidung auf dem Postweg an ihn weiter gereicht. Eine Frist zur Klageerhebung sei in der Kanzlei nicht eingetragen worden. Im eigenen Büro sei die Fristüberwachung so organisiert, dass nach Posteingang die Eintragung im Fristenkalender in den Handakten vermerkt werde. Bei Ablauf der Vorfrist werde die Sache dem Sachbearbeiter, Herrn K., mit einem auffälligen Vermerk „Fristsache” gesondert vorgelegt. Am Morgen des Fristablaufs werde die Erledigung überprüft und die Sache, wenn sie noch nicht erledigt sei, noch einmal mit einem auffälligen Aufkleber „heute Fristablauf” in der gleichen Weise vorgelegt. Vor Büroschluss werde kontrolliert, ob alle Fristsachen erledigt seien; erst dann werde die Frist gelöscht. Die Eintragung und die Kontrolle der Fristen obliege der Angestellten C. K.. In diesem Fall habe sie versehentlich nur die Vorfrist notiert und als gewöhnliche Frist behandelt, bzw. die Frist lediglich am Tag des Fristablaufs Herrn Rechtsanwalt Ro. zukommen lassen, der für diesen Vorgang aber wissentlich nicht zuständig sei. Zudem befinde sich Herr K. im Erholungsurlaub in den U.S.A. Am Tag des Fristablaufs sei er selbst also nicht erinnert worden. Hinzu komme, dass die Firma G-AG, deren Geschäftsführer er sei, am Sonntag, den 19. Oktober 2008 Insolvenzantrag stellen musste.
In einem weiteren Schriftsatz vom 24. April 2009 erläuterte der nunmehr beauftragte Prozessbevollmächtigte das Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 1. Dezember 2008. Ertrug vor, mit der Kanzlei R., H., Ro. sei am 1. April 2008 ein Rechtsberatungsvertrag über die juristische Beratung abgeschlossen worden. Darin sei ausdrücklich die Beratung steuerliche und steuerrechtliche Angelegenheiten ausgenommen worden. Die Kanzlei sei entsprechend dem Rechtsberatungsvertrag im Innenverhältnis nicht beauftragt gewesen, die Steuerangelegenheiten des Kläg...