Entscheidungsstichwort (Thema)
Klagebefugnis wegen Kindergeldrückforderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Leitsatz (redaktionell)
1. Ergeht nach Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers ein nicht an den Treuhänder, sondern den Kläger persönlich gerichteteter Kindergeldaufhebungs- und Kindergeldrückforderungsbescheid, so ist der Kläger klagebefugt, wenn er rügt, die Ansprüche hätten nicht gegen ihn persönlich, sondern nur noch gegenüber dem Treuhänder (Anmeldung zur Insolvenztabelle) geltend gemacht werden dürfen.
2. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens darf für vor Eröffnung des Insolvenzverfahren liegende Kindergeldzeiträume kein Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid mehr erlassen werden, da es sich insoweit um Insolvenzforderungen i.S. von § 38 InsO handelt. Ein gleichwohl unter Missachtung von § 87 InsO erlassener Bescheid der Familienkasse ist nichtig.
3. Auch wenn es sich um eine nach Insolvenzeröffnung begründete Forderung handeln würde, wäre der an den Kläger persönlich gerichtete Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid nichtig, da eine Masseverbindlichkeit nur durch Leistungsbescheid gegenüber dem Treuhänder festgesetzt werden kann.
Normenkette
EStG § 70 Abs. 2; InsO § 304 Abs. 1 S. 1, § 174 Abs. 1 S. 1, §§ 80, 87, 38, 41, 55; FGO § 40; AO §§ 125, 37 Abs. 2
Tenor
1. Der Bescheid über Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung des Erstattungsbetrags vom 10. April 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. September 2003 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte im Verbraucherinsolvenzverfahren des Klägers gegen diesen zu Recht einen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid hinsichtlich Kindergeldes erlassen hat.
I.
Der Kläger (Kl) ist Bediensteter des Freistaats Bayern. Der Beklagte ist die für den Kl zuständige Bezügestelle und Familienkasse (FK). Der Kläger bezog für Kinder Kindergeld. Am 25. September 2002 wurde durch Beschluss des Amtsgerichts über das Vermögen des Kl das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit dem Beklagten (Bezügestelle) am 09. Oktober 2002 zugegangenem Schreiben teilte der Treuhänder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit. Mit an den Kl gerichtetem Bescheid vom 10. April 2003 hob die FK die Kindergeldfestsetzung für die Kinder ab 01. Juni 2000 bis längstens 30. April 2002 mit der Begründung, dass die Kinder seit 01. Juni 2000 bei der Mutter leben, auf. Gleichzeitig forderte sie den sich danach ergebenden Erstattungsbetrag in Höhe von zurück. Auf den hiergegen vom Kl erhobenen Einspruch änderte die FK den Aufhebungsbescheid insoweit ab, als die Kindergeldfestsetzung für das Kind bis zum 01. Dezember 2000 und für das Kind bis zum 01. September 2000 aufrechterhalten wurde. Im Übrigen wies die FK den Einspruch mit an den Kl adressierter Einspruchsentscheidung vom 24. September 2003 als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingereichte Klage. Zu deren Begründung macht der Kl im Wesentlichen Folgendes geltend: Infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei es ein nicht heilbarer Verfahrensfehler, dass die Bescheide an ihn persönlich statt an den Treuhänder zugestellt worden seien. Die Rückforderung könne nur über die Anmeldung zur Tabelle erfolgen. Auch inhaltlich sei der Bescheid vom 10. April 2003 unzutreffend, da er, der Kl, vom Kindergeld Zahlungen für die Kinder geleistet habe.
Der Kl beantragt,
den Bescheid über Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung des Erstattungsbetrags vom 10. April 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. September 2003 aufzuheben.
Die FK beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie darauf, dass der Kl im Mai 2000 den Familienhaushalt verlassen habe und die Kinder daher nicht mehr zu seinem Haushalt gehörten. Entgegen der Ansicht des Kl gehörten die Kinder aber zum Haushalt der Mutter. Denn die Haushaltszugehörigkeit werde durch die vorübergehende Abwesenheit wegen Schul- oder Berufsausbildung nicht berührt. Auch könnten die vom Kl geltend gemachten Zahlungen nicht als Unterhaltsleistungen qualifiziert werden, da sie keine laufende monatliche Geldrente darstellten. Ein Kindergeldanspruch sei deshalb auch dann zu verneinen, wenn die Kinder dauerhaft auswärtig untergebracht gewesen wären. Eine Anmeldung zur Insolvenztabelle sei nicht erforderlich, da der Erstattungsanspruch erst durch Bescheid vom 10. April 2003 und damit nach Insolvenzeröffnung entstanden sei.
Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung –FGO–).
Entscheidungsgründe
II.
Die Klage ist zulässig und begründet.
1. Die Klage ist zulässig. Zwar geht nach § 80 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO)...