rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Störung des elektronischen Anwaltspostfachs (beA) am letzten Tag der Klagefrist: Zweiwochenfrist für Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Nutzung des beA. Pflicht zur Begründung der Höhe eines festgesetzten Zwangsgeldes
Leitsatz (redaktionell)
1. Es ist gerichtsbekannt, dass es immer wieder zu teilweise tagelangen Störungen im elektronischen Anwaltspostfach beA kommt. Daher ist es aus Gründen der grundgesetzlich garantierten Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) geboten, dass auch die Möglichkeit besteht, die Klage auf dem herkömmlichen Wege durch Einreichung in Schriftform einzureichen, wenn es hinreichend glaubhaft erscheint, dass es zu Problemen in der elektronischen Übermittlung gekommen ist.
2. Es ist auch nicht zwingend erforderlich, dass die Glaubhaftmachung des Vortrags, dass die Übermittlung in technischer Form vorübergehend nicht möglich ist, gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgt. Vielmehr ist für die Frage, ob eine vorübergehende Unmöglichkeit, eine Klage in der Form des § 52d Satz 1 FGO einzureichen, unverzüglich im Sinne von § 52d Satz 4 FGO glaubhaft gemacht worden ist, die Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO entsprechend anzuwenden.
3. Bei der Festsetzung eines Zwangsgeldes hat das Finanzamt neben einem Entschließungsermessen auch darzulegen, warum es ein Zwangsgeld in der festgesetzten Höhe für ermessensgerecht hält.
Normenkette
FGO § 47 Abs. 1, § 52d Sätze 1, 3-4, § 56 Abs. 1, 2 S. 1, § 102 S. 2; ZPO § 294; GG Art. 19 Abs. 4; AO §§ 5, 329, 328 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 333
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung der Zwangsgeldfestsetzung vom 3.6.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.10.2022 verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Die Klägerin, eine GmbH, hat die Körperschaftsteuererklärungen 2018 und 2019, den Jahresabschluss zum 31.12.2018 und 2019, die Erklärung zur gesonderten Feststellung gemäß §§ 27, 28, 37 und 38 KStG zum 31.12.2018 und 2019, die Gewerbesteuererklärungen 2018 und 2019 sowie die Umsatzsteuererklärungen 2018 und 2019 nicht beim Finanzamt abgegeben. Die Frist für die Abgabe der Steuererklärungen für 2018 endete aufgrund der vorzeitigen Anforderung gemäß § 149 Abs. 4 AO am 23.8.2019. Die Frist für die Abgabe der Steuererklärungen für 2019 endete aufgrund der gesetzlichen Fristverlängerung am 31.8.2021. Da diese Fristen von der Klägerin nicht eingehalten wurden, schätzte das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen für 2018 mit Bescheiden vom 4.11.2019 und für 2019 mit Bescheiden vom 24.11.2021 jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Die Steuernachzahlungen wurden entrichtet. Mit Bescheiden vom 24.11.2021 wurde für 2018 der Vorbehalt der Nachprüfung jeweils aufgehoben. Gegen die Bescheide für 2018 und 2019 vom 24.11.2021 wurde Einspruch erhoben. Diese Rechtsbehelfsverfahren sind bis dato nicht abgeschlossen.
Mit Verwaltungsakten vom 4.5.2022 drohte das Finanzamt Zwangsgelder in Höhe von jeweils 500 EUR (für zehn ausstehende Erklärungen) für den Fall an, dass die ausstehenden Steuererklärungen nicht bis zum 27.5.2022 übermittelt werden.
Da die Steuererklärungen nicht beim Finanzamt abgegeben wurden, setzte das Finanzamt mit Verfügung vom 3.6.2022 die angedrohten Zwangsgelder in Höhe von insgesamt 5.000 EUR fest. Die Verfügungen wurden am 7.6.2022 mit einfachem Brief zur Post gegeben.
Gegen diese Verwaltungsakte erhob die Klägerin Einspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 17.10.2022). Die Einspruchsentscheidung wurde mit einfacher Post versendet und laut Absendevermerk am 17.10.2022 zur Post gegeben. Nachdem die Klägerin mitgeteilt hatte, dass sie die Einspruchsentscheidung vom 17.10.2022 nicht erhalten habe, wurde sie mit Postzustellungsurkunde vom 2.1.2023 am 4.1.2023 (Tag der Zustellung) bekannt gegeben.
Hiergegen legte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage ein. Die Klageschrift ging am 6.2.2023 durch Einwurf in den Nachtbriefkasten des Finanzgerichts ein. Am 18.2.2023 übermittelte der Prozessbevollmächtigte die Klage über das elektronische Anwaltspostfach beA, zusammen mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass der für das beA zuständige Sachbearbeiter den ganzen Nachmittag des 6.2.2023 die Übermittlung per beA in Anwesenheit des Prozessbevollmächtigten versucht habe. Wie in der Vergangenheit schon wiederholt vorgekommen, sei die Übermittlung mehrere Stunden nicht möglich gewesen, so dass am Abend des 6.2.2023 die Kl...