Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerfreiheit für innergemeinschaftliche Lieferungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Der innergemeinschaftliche Erwerb eines Gegenstands ist erst dann bewirkt, wenn der Lieferant nachweist, dass der Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat befördert worden ist und aufgrund dieser Beförderung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen hat.
2. Wenn sich die Belegangaben nach § 17a Abs. 2 UStDV als unzutreffend erweisen oder wenn hinsichtlich der Bevollmächtigung des Beauftragten begründete Zweifel an der Richtigkeit bestehen, die der Unternehmer nicht ausräumen kann, können die Lieferungen nur nach § 6a Abs. 4 S. 1 UStG steuerfrei sein.
3. Danach kann der gutgläubige Lieferant grundsätzlich auch dann auf sein Recht auf Befreiung von der Umsatzsteuer vertrauen, wenn sich die Belegnachweise aufgrund eines vom Abnehmer begangenen Betrugs nachträglich als falsch herausstellen und er auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns die Falschdeklarierung der vom Abnehmer vorgelegten Nachweise nicht erkennen konnte.
4. Dabei sind alle Gesichtspunkte und tatsächlichen Umstände umfassend zu berücksichtigen. Die zur Steuerpflicht führende Bösgläubigkeit kann sich auch aus Umständen ergeben, die nicht mit den Beleg- und Buchangaben zusammenhängen.
Normenkette
UStG § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a Abs. 1, 3, § 4 S. 1; UStDV §§ 17a, 17b, 17c
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob es sich bei Kfz-Lieferungen der Klägerin um steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen handelt.
Die Klägerin, die steuerpflichtige und steuerfreie Umsätze aus dem Handel mit Kfz erzielte, erwarb nach ihren Angaben im Streitjahr nach Vorauswahl und aufgrund sog. verbindlicher Bestellungen einer Firma X/Frankreich 34 Gebrauchtfahrzeuge von der Firma A/Deutschland. In zehn weiteren Fällen wurden gebrauchte Kfz von anderen Kfz-Händlern erworben. Bei der Abwicklung der 44 Kfz-Verkäufe an X trat Herr G, Inhaber der Fa. YG mit Sitz in F/Deutschland, als Übersetzer und Vertreter der X auf, der auch die Abholung und den Transport der Kfz organisierte.
Diese Kfz wurden der Klägerin von der Firma A und den anderen Kfz-Händlern mit Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Die Klägerin stellte diese Kfz ihrerseits mit einem Preisaufschlag von ca. 300 bis 1.000 EUR auf den Nettoeinkaufspreis der Firma X ohne Umsatzsteuer in Rechnung.
Die Fahrzeuge wurden von Mitarbeitern der Firma YG von Carports der Firma A bzw. der anderen Kfz-Händler und gelegentlich auch bei der Klägerin abgeholt und mit deutschen Kennzeichen zur Firma YG verbracht. Die Zweitschlüssel und die Kfz-Briefe wurden zum Teil ebenfalls unmittelbar an die Firma YG versandt.
Die Klägerin behandelte die an X fakturierten Verkäufe in Höhe von insgesamt 871.719 EUR als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen. Mit ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für das 1. Kalendervierteljahr 2009 meldete sie innergemeinschaftliche Lieferungen in Höhe von 154.600 EUR, steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 12.076 EUR sowie abziehbare Vorsteuerbeträge in Höhe von 30.818,79 EUR an. Für das 2. Kalendervierteljahr 2009 erklärte sie innergemeinschaftliche Lieferungen in Höhe von 878.719 EUR, steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 4.332 EUR und machte abziehbare Vorsteuerbeträge in Höhe von 164.797,61 EUR geltend.
Im Juli 2009 teilte G dem Finanzamt F mit, dass die streitgegenständlichen Kfz von der Firma X über eine Fa. GZ/Spanien an ihn verkauft worden seien. Die Fahrzeuge seien von seinen Mitarbeitern direkt bei A abgeholt und nach F verbracht worden. Dort seien sie nach Instandsetzungsarbeiten an Endkunden in Frankreich weiter veräußert worden.
Die Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle im gegen den Geschäftsführer der Klägerin, S, eingeleiteten Steuerstrafverfahren betreffend die Voranmeldungszeiträume I und II/2009 bestätigten die Einlassungen des G. Danach hatte die Klägerin keine umsatzsteuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen an die Firma X, sondern umsatzsteuerpflichtige Lieferungen im Inland ausgeführt. Die Kfz-Lieferungen könnten auch nicht aus Vertrauensschutzgründen als steuerfrei behandelt werden (vgl. steuerlicher Ermittlungsbericht und strafrechtlicher Zwischenbericht vom 7. Januar 2010 sowie strafrechtlicher Abschlussbericht vom 12. August 2010).
Der Beklagte (das Finanzamt) setzte deshalb mit Änderungsbescheid vom 17. Februar 2010 die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 1. Kalendervierteljahr 2009 unter Behandlung der angemeldeten steuerfreien Umsätze aus innergemeinschaftlichen Lieferungen mit dem Nettobetrag, d. h. unter Herausrechnung der Umsatzsteuer, als steuerpflichtige Umsätze auf einen Negativbetrag von 3.840,31 EUR fest.
Die Umsatzsteuer-Vorauszahlung des 2. Kalendervierteljahr 2009 wurde mit Änderungsbescheid vom 17. Februar 2010 auf einen Negativbetrag von 49.475,93 EUR festgesetzt. Dabei wurden lediglich noch steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen in Höhe von 161.600 EUR anerkannt.
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