rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug bei Erwerb von auf fremden Dächern zu verpachtenden PV-Anlagen im Rahmen eines betrügerischen Anlagemodells
Leitsatz (redaktionell)
1. Verkauft ein nach dem Schneeballprinzip vorgehender Anlagebetrüger im Rahmen eines betrügerischen Anlagemodells PV-Anlagen (Module und Zubehör) an Kunden, wobei die Kunden jeweils die Anlage an bestimmten Anlagestandorten zu einem festen Pachtzins und für eine feste Laufzeit an Firmen des Anlagebetrügers verpachten und die von diesen Firmen insgesamt zu zahlenden Pachtzinsen die insgesamt erzielbaren Einspeisevergütungen deutlich übersteigen, hat der Steuerpflichtige seine PV-Anlage an einem bestimmten Standort erst erworben, als dort von dem Anlagebetrüger schon PV-Anlagen mit insgesamt deutlich mehr Leistungs-Kapazitäten (kwP) als an dem Standort tatsächlich insgesamt vorhanden verkauft worden sind, und liegen keine Unterlagen (z. B. Lieferschein) oder objektive Anhaltspunkte vor, die darauf schließen lassen, dass die vereinbarte Lieferung der bestellten Anlage an den Steuerpflichtigen tatsächlich durchgeführt wurde, so ist davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige zu keinem Zeitpunkt die Verfügungsmacht über eine – von ihm bestellte, aber zum Zeitpunkt des Kaufs infolge der Überzeichnung tatsächlich nicht mehr verfügbare – PV –Anlage bzw. ihre Komponenten erlangt hat, die Anlage nie im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG an ihn geliefert worden ist und ihn eine über die „Lieferung” der Anlage ausgestellte Rechnung nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt.
2. Der Steuerpflichtige ist jedoch nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt, wenn er vertragsgemäß vor Ausführung der vermeintlichen Lieferung eine Vorauszahlung leisten musste, er dafür von dem Anlagebetrüger eine ordnungsgemäße Rechnung erhalten sowie bezahlt hat, und wenn der gutgläubige Steuerpflichtige zu diesem Zeitpunkt weder tatsächlich wusste noch bei der gebotenen Sorgfalt vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die Bewirkung der Lieferung ungewiss war.
Normenkette
UStG § 3 Abs. 1, § 14 Abs. 4, 5 S. 1, §§ 14a, 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sätze 1, 3; MwStSystRL Art. 65, 14 Abs. 1, Art. 167, 168 Buchst. a
Tenor
1. Der Umsatzsteuerbescheid für 2010 vom 21. Februar 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2019 werden dahingehend abgeändert, dass die Umsatzsteuer auf einen Negativbetrag von 7.048,39 EUR festgesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte zu 82 % und der Kläger zu 18 %.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Der Kläger zeigte dem Beklagten (dem Finanzamt) im November 2010 die Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit zum 1. März 2010 an. Art der Tätigkeit war die Vermietung und Verpachtung einer Photovoltaikanlage (PV-Anlage). Er erklärte, er berechne die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten und beantragte die Ist-Versteuerung (vgl. „Fragebogen zur steuerlichen Erfassung” vom 6. November 2010).
Der Kläger kaufte Komponenten einer PV-Anlage im Rahmen des Anlagemodells „S.”. Dieses sah vor, dass die Firma ABC PV-Anlagen (Module und Zubehör) an die Kunden veräußerte. Die Kunden verpachteten die Anlage an bestimmten Anlagestandorten zu einem festen Pachtzins und für eine feste Laufzeit an die Firma XY KG und später auch an die Z AG.
Das Anlagemodell „S.” wurde dem Kläger durch die Firma D vermittelt. Er bestellte bei der Firma ABC Module nebst Zubehör für 11,51 kWp einer PV-Anlage. Es liegen zwei Rechnungen vor, die von der ABC ausgestellt wurden. In der Rechnung vom 15. März 2010 (Rechnung Nr. 20100062) über eine PV-Anlage 11,51 kWp und Komponenten (XY Solartechnics Co. XY 44Wp Dünnschicht; Wechselrichter) wird ein Gesamtbetrag von 50.000 EUR (42.016,81 EUR zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 7.983,19 EUR) ausgewiesen. In der Rechnung werden das Lieferdatum (29. März 2010), die Objektadresse (K, S-Str.) – hierbei handelt es sich um die Adresse des Klägers – und die Zahlungsmodalität Vorkasse angeführt. In der Rechnung vom 17. März 2010 (Rechnung Nr. 20100063) über eine Unterkonstruktion, Elektrik und Verteiler sowie Montage jeweils für 11,51 kWp wird ein Gesamtbetrag von 9.500 EUR (7.983,19 EUR zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 1.516,81 EUR) ausgewiesen. Die Rechnung enthält den Hinweis, dass das Lieferdatum dem Rechnungsdatum entspricht. Den Betrag von 50.000 EUR finanzierte der Kläger durch ein Darlehen bei der F-Bausparkasse (F). Der Darlehensbetrag in Höhe von 50.000 EUR wurde nach Angaben des Klägers direkt von der F an die ABC ausgezahlt. Den 2. Rechnungsbetrag (9.500 EUR) überwies der Kläger – nach Zahlungserinnerung im November 2010 – am 10. Januar 2011 an die ABC.
Mit Pachtvertrag vom 3./9. Dezember 2009 verpachtete der Kläge...