Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung der Besteuerungsgrundlagen wegen Nichtabgabe der ESt-Erklärung; Rüge der Nichtigkeit der Steuerfestsetzung. Einkommensteuer 1996
Leitsatz (redaktionell)
Bei einer wegen Nichtabgabe der Steuererklärung notwendig gewordenen Schätzung der Besteuerungsgrundlagen führen Schätzungsfehler regelmäßig nicht zur Nichtigkeit, sondern allemfalls zur Anfechtbarkeit des Schätzungsbescheids, sofern das Finanzamt nicht bewußt zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat.
Normenkette
AO 1977 § 125 Abs. 1; AO § 162 Abs. 1 Nr. 2; AO 1977 §§ 172 ff.
Gründe
I.
Der Kläger (Kl) ist als Speditionskaufmann nichtselbständig tätig, die Klägerin (Klin) hat einen Gewerbebetrieb (Datenverarbeitung und Software-Entwicklung).
Der Beklagte (Finanzamt -FA-) veranlagte die Kl, Ehegatten, zusammen zur Einkommensteuer 1996. Das FA schätzte dabei die Besteuerungsgrundlagen, da die Kl trotz mehrfacher Aufforderung keine Steuererklärungen für das Kalenderjahr 1996 abgegeben hatten. Es schätzte den Gewinn der Klin aus Gewerbebetrieb auf 20.000 DM, wobei es in Anlehnung an die in den Umsatzsteuervoranmeldungen erklärten Umsätzen zuzüglich einer Zuschätzung von 10.000 DM von Betriebseinnahmen in Höhe von 46.788 DM (einschließlich Umsatzsteuer) und von Betriebsausgaben in Höhe von 26.000 DM ausging. Die Einkünfte des Kl aus nichtselbständiger Arbeit schätzte das FA unter Erhöhung des Vorjahresergebnisses auf 63.000 DM. Mit Bescheid vom 6.10.1998, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging (§ 164 Abs. 1 AO), setzte das FA die Einkommensteuer 1996 auf 11.136 DM fest. Am 1.3.1999 hob es den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Die geschätzten Besteuerungsgrundlagen wurden unverändert beibehalten.
Am 26.5.1999 reichten die Kl die Einkommensteuererklärung 1996 beim FA ein. Laut Erklärung betrugen die Einkünfte der Klin aus Gewerbebetrieb ./. 6.580 DM und die Einkünfte des Kl aus nichtselbständiger Arbeit 64.097 DM. Mit Bescheid vom 15.6.1999 wies das FA den Antrag der Kl auf Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 1996 ab. Der dagegen eingelegte Einspruch der Kl hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 25.10.1999).
Mit der Klage machen die Kl die Nichtigkeit der Einkommensteuerfestsetzung 1996 geltend. Zur Begründung tragen sie im wesentlichen vor, die Schätzung des FA sei willkürlich. Schätzungen dürften nicht zu einer Strafzuschätzung führen. Willkür sei anzunehmen, wenn das FA bewußt zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätze. Das FA habe, obwohl Umsatzsteuervoranmeldungen laufend abgegeben worden seien, die Einnahmen auf 40.000 DM geschätzt. In der Vergangenheit hätten sich keine erheblichen Abweichungen zwischen Voranmeldung und Jahreserklärung ergeben. Die Schätzung des FA für 1996 mit einem Gewinn aus Gewerbebetrieb von 20.000 DM liege außerhalb eines oberen Schätzungsrahmens. Angemessen scheine eine Gewinnschätzung von 7.000 DM, wie sie im besten Jahr 1993 erzielt worden sei bei etwa gleichen Umsätzen (Schriftsatz vom 23.12.1999).
Die Kl beantragen,
die Einkommensteuer 1996 auf 7.368 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen (Schriftsatz vom 15.2.2000).
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet. Mit Beschluß vom 21.2.2000 ist der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden (§ 6 FGO).
II.
Die Klage ist unbegründet.
1. Die Einkommensteuerfestsetzung 1996 ist nicht nichtig.
Nach § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nur dann nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind nur ausnahmsweise gegeben; in der Regel ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt lediglich anfechtbar. Um das Anfechtungserfordernis im Interesse der Rechtssicherheit nicht zu beeinträchtigen, hat die Rechtsprechung einen besonders schwerwiegenden. Fehler nur angenommen, wenn er die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt, daß von niemandem erwartet werden kann, den ergangenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 22.11.1988 VII R 173/85, BStBl II 1989, 220). Schätzungsfehler führen nach ständiger Rechtsprechung nur in den seltensten Fällen zur Nichtigkeit des Bescheids, der die Schätzung übernimmt. Selbst eine Mehrzahl grober Schätzungsfehler oder ein überhöhtes Schätzungsergebnis führen regelmäßig nicht zur Nichtigkeit, sondern allenfalls zur Anfechtbarkeit des Schätzungsbescheides. Wegen der mit einer Schätzung verbundenen Unsicherheiten liegt auch bei materiell überhöhten Schätzungen kein besonders schwerwiegender, über die unrichtige Rechtsanwendung hinausgehender, offenkundiger Fehler vor (vgl. z. B. BFH-Beschlüsse vom 1.10.1981 IV B 13/81, BStBl II 1982, 133 und vom 14.4.1989 III B 5/89, BStBl II 1990, 351).
Im Streitfall war das FA berechtigt und verpflichtet, wegen Nichtabgabe der Einkommensteuererklärung die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 2 AO zu schätzen....