Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung eines Sammelauskunftsersuchens zur Aufdeckung und Ermittlung unerkannter Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften
Leitsatz (redaktionell)
Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung bestehen an der Rechtmäßigkeit eines Auskunftsersuchens zur Aufdeckung und Ermittlung unerkannter Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften wegen der zumindest zweifelhaften Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung sog. Spekulationsgewinne erhebliche Zweifel.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3, § 69
Nachgehend
Tatbestand
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
1. Der Senat lässt es dahingestellt, ob im Streitfall neben allgemein zugänglichen Informationen sonstige – insbesondere bankinterne – Informationen vorliegen, die einen hinreichenden Anlass für die auf § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Abgabenordnung (AO) gestützten Ermittlungen bieten (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 21. März 2002 VII B 152/01, BFHE 198, 42). Denn die Aussetzung der Vollziehung des Auskunftsersuchens ist bereits wegen der zumindest zweifelhaften Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung sog. Spekulationsgewinne geboten.
a. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll insbesondere dann erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; seitdem ständige Rechtsprechung). Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrundeliegenden Norm sein, sofern ein berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht (z.B. BFH-Beschluss vom 23. Oktober 2002 II B 153/01, BFH/NV 2003, 235, BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2000 IX B 128/99, BFHE 194, 157, BFH-Beschluss vom 19. August 1994 X B 318/93, BFH/NV 1995, 143). Ein solches liegt vor, wenn die öffentlichen Belange – insbesondere das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung – nicht in solch einem Ausmaß berührt sind, dass das Interesse der Antragstellerin, das Auskunftsersuchen abzuwehren, dahinter zurücktreten müsste.
b. Der Senat teilt die vom Bundesfinanzhof im Beschluss vom 16. Juli 2002 (IX R 62/99, BFHE nn, NJW 2003, 83) dargelegte Auffassung, dass die Besteuerung von Spekulationsgewinnen im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b Einkommensteuergesetz (EStG a.F.) wegen des Bestehens struktureller Vollzugsdefizite nicht mit dem Grundgesetz (Art. 3 GG) vereinbar ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den o. g. Beschluss Bezug genommen.
Bestehen aber derlei verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Besteuerung von Spekulationsgewinnen, so schlagen diese aus Sicht des Senates zwingend auf die Frage der Rechtmäßigkeit von Auskunftsersuchen durch, sofern diese – wie im Streitfall – der Aufdeckung und Ermittlung noch unbekannter Einkünfte aus Spekulationsgeschäften dienen sollen. Denn eine Maßnahme, die Grundlage der – nachfolgendenden – verfassungsrechtlich bedenklichen Besteuerung von Spekulationsgewinnen ist, unterliegt den gleichen rechtlichen Bedenken wie die Besteuerung selbst.
Die Aufhebung des Vollzugsdefizites im Bereich der Gewinne aus Spekulationsgeschäften durch eine „großzügige” Handhabung der vom Gesetzgeber bereit gestellten Instrumentarien ist weder Aufgabe der Finanzverwaltung noch der Gerichte, sondern allein dem Gesetzgeber vorbehalten. Erst wenn dieser die Voraussetzungen für eine dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Besteuerung der Spekulationsgewinne schafft, sind hierauf zielende Ermittlungsmaßnahmen statthaft.
Solange aber das vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellte Instrumentarium – einschließlich etwaiger unter bestimmten Voraussetzungen zulässiger Sammelauskunftsersuchen – nicht ausreicht, um die vom Grundgesetz geforderte gleichmäßige Besteuerung der Gewinne aus Spekulationsgeschäften zu gewährleisten, und gerade deswegen die Besteuerung dieser Einkünfte als verfassungswidrig anzusehen ist, erfassen diese Bedenken erst recht jene Einzelmaßnahmen, die die – gleichheitswidrige – Besteuerung Einzelner zum Ergebnis haben sollen. Die verfassungswidrige Ungleichbehandlung liegt schließlich gerade darin, dass lediglich ein kleiner Teil derjenigen, die tatsächlich Spekulationsgewinne erzielen, aufgrund ihrer Erklärung oder aber infolge diesbezüglicher punktueller Ermittlungsmaßnahmen der Finanzbehörden zur Besteuerung herangezogen werden...