Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung zu viel gezahlter Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen
Leitsatz (redaktionell)
Dem Europäischen Gerichtshof wird zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, ob das Unionsrecht es gebietet, dass ein Unternehmer an seine Vorlieferanten zu viel gezahlte Mehrwertsteuer einschließlich Zinsen direkt vom Finanzamt erstattet verlangen kann, wenn die entsprechenden zivilrechtlichen Forderungen verjährt sind, aber es andererseits sein könnte, dass die Vorlieferanten auf Grund einer jeweiligen Rechnungsberichtigung das Finanzamt in Anspruch nehmen. Dann wäre die Folge, dass die Finanzverwaltung dieselbe Mehrwertsteuer zweimal erstatten müsste.
Normenkette
MwStSystRL Art. 167-168, 178, 203; AO §§ 163, 233a, 227; UStG §§ 14, 14c; AEUV Art. 267
Nachgehend
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob der Beklagte zu Recht einen Antrag des Klägers auf Erlass von Umsatzsteuernachforderungen und Zinsen zur Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen abgelehnt hat.
Der Kläger ist Land- und Forstwirt und betreibt (u.a.) einen gewerblichen Handel mit Holz. In den Jahren 2011 bis 2013 erwarb der Kläger von seinen Vorlieferanten, mit denen er jeweils Nettovereinbarungen getroffen hatte, das Holz unter Ausweis der Umsatzsteuer in den jeweiligen Rechnungen in Höhe des Regelsteuersatzes von 19%. Der Kläger veräußerte und lieferte in der Folge das Holz an seine Kunden unter Ausweis des ermäßigten Steuersatzes von 7% als Brennholz.
Die Vorlieferanten erklärten jeweils die Umsätze und führten die Steuer in Höhe von 19% an die Finanzbehörden ab. Der Kläger erklärte Ausgangsumsätze zu lediglich 7% und brachte seinerseits den Vorsteuerabzug aus den Lieferungen in Höhe von 19% in Abzug. Die sich hieraus ergebene Steuerschuld wurde vom Kläger an die Finanzbehörde gezahlt. Anhaltspunkte für eine drohende Zahlungsunfähigkeit des Klägers waren zu keinem Zeitpunkt gegeben. Ein Betrugsverdacht liegt nicht vor.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangte der Beklagte zu der Auffassung, dass die Ausgangsumsätze des Klägers nicht dem ermäßigten Steuersatz, sondern dem Regelsteuersatz unterliegen würden. Im Rahmen eines sich hieran anschließenden Klageverfahrens bestätigte der vorlegende Senat in einem Urteil, dass die Ausgangsumsätze des Klägers dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Der Senat vertrat indes auch die Auffassung, dass bereits die Eingangsumsätze des Klägers dem ermäßigten Steuersatz in Höhe von 7% unterlagen und der Kläger auch nur insoweit einen Vorsteuerabzug in Abzug bringen konnte, weil nur insoweit eine gesetzlich geschuldete Steuer vorlag. Daher wurde der Vorsteuerabzug des Klägers gekürzt. Das Urteil wurde rechtskräftig (FG Münster, Urteil vom 2. Juli 2019, 15 K 2794/17 U, nicht veröffentlicht).
Zur Umsetzung des Urteils forderte der Beklagte mit Bescheiden vom 30. September 2019 Umsatzsteuer für die Jahre 2011 bis 2013 (2011: 5.838,96 EUR; 2012: 8.609,18 EUR; 2013: 14.057,70 EUR) nach und setzte Zinsen zur Umsatzsteuer für die Jahre 2011 bis 2013 (2011: 1.189 EUR; 2012: 1.246 EUR; 2013: 1.202 EUR) fest.
Der Kläger wendete sich in der Folge an seine Vorlieferanten mit der Bitte, die Rechnungen ihm gegenüber zu berichtigen und ihm den Differenzbetrag auszuzahlen. Bei sämtlichen Vorlieferanten war für die Veranlagungszeiträume 2011 bis 2013 in verfahrensrechtlicher Hinsicht bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. Sämtliche Vorlieferanten beriefen sich hinsichtlich des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs auf Berichtigung der Rechnungen und Rückzahlung des Differenzbetrags auf die zivilrechtliche Einrede der Verjährung. Die Rechnungen wurden demnach nicht berichtigt und der Kläger erhielt auch den Differenzbetrag der geschuldeten Umsatzsteuer nicht von seinen Vorlieferanten zurück. Der Kläger hat nach nationalem Zivilrecht auf Grund der erhobenen Einrede der Verjährung keine Möglichkeit, seinen Anspruch gegenüber den Vorlieferanten durchzusetzen.
Daraufhin stellte der Kläger mit Schreiben vom 24. Oktober 2019 einen Antrag beim Beklagten, ihm die nachgeforderte Umsatzsteuer und die festgesetzten Zinsen zur Umsatzsteuer (Gesamtbeträge 2011: 7.027,98 EUR; 2012: 9.855,18 EUR; 15.259,70 EUR) im Wege der Billigkeit gem. §§ 163, 227 Abgabenordnung (AO) zu erlassen. Dabei nahm er ausdrücklich Bezug auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 15.3.2007, Rs. C-35/05, Reemtsma Cigarettenfabriken, ECLI:EU:C:2007:167, Rn. 41; vom 26. April 2017, Rs.C-564/15, Farkas, EU:C:2017:302, Rn. 53; vom 11. April 2019, Rs. C-691/17, PORR, ECLI:EU:C:2019:327, Rn. 42; vom 10. Juli 2019, Rs. C-273/18, Kursu zeme, ECLI:EU:C:2019:588, Rn. 41).
Der Beklagte lehnte die Anträge auf Erlass gem. § 163 AO und gem. § 227 AO mit Bescheiden vom 3. Dezember 2019 und vom 16. Dezember 2019 ab. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen an, dass der Kläger für die Situation selbst verantwortlich sei. Er hätte bei gesetzestreuem Verhalten die unveränderte Ware nicht mit einem veränderten Steuersat...