Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld
Tenor
Der Ablehnungsbescheid vom 20.8.1997 und die Einspruchsentscheidung vom 28.10.1997 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Kindergeld für das Pflegekind SaschaB für die Zeit der Haushaltsaufnahme vom 19.06.1997 bis 15.11.1997 zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Gründe
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Kindergeld hat.
Der Kläger, der bis zum 31.12.1997 Mitarbeiter der „e.V.” war, hatte vom 19.06. bis 05.11.1997 Sascha B. (Sascha B.) in Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG). Sascha B., der im April 1980 geboren ist, war dem Kläger durch das Jugendamt vermittelt worden. Der Kläger nahm Sascha B. in seinen Haushalt auf. Ursprünglich sollte das Pflegeverhältnis hilfeplanerisch auf Dauer angelegt sein. Anlaß für die Einrichtung der Pflegestelle war, daß Sascha B. straffällig geworden war und ihm im Rahmen des gegen ihn damals laufenden Jugendstrafverfahrens und der in diesem Zusammenhang verbüßten Untersuchungshaft nach der am 19.06.1997 stattgefundenen Hauptverhandlung eine Zukunftsperspektive eröffnet werden sollte. Die damals verhängte Jugendstrafe setzte das Amtsgericht I zur Bewährung aus (Az: 5 Gs 122/97). Nachdem jedoch im Zusammenleben mit Sascha B. in erhöhtem Maße Schwierigkeiten auftraten, wechselte Sascha B. in eine betreute Wohnform einer Jugendhilfeeinrichtung. Die Pflegestelle hob das Jugendamt Mitte November 1997 auf. Vor dem 19.06.1997 war Sascha B. vom 03.03.1986 bis 18.11.1993 auf Vermittlung des Jugendamts bei den Eheleuten J. Die Hilfe wurde dann in Heimerziehung umgewandelt. Ab 22.05.1996 war Sascha B. wieder bei seinen früheren Pflegeeltern J. Am 27.02.1997 wurde er in Untersuchungshaft genommen. Die Pflegeeltern entschieden sich dann, das Pflegeverhältnis zum 31.03.1997 zu beenden.
In der Zeit, in der der Kläger die Pflegestelle für Sascha B. inne hatte, erhielt er vom Jugendgeld ein Pflegegeld in Höhe von monatlich 1.673,00 DM. Nach seinem Vortrag leistete der Kläger zusätzlich einen Kostenbeitrag von monatlich ca. 150,00 DM bis 200,00 DM für Sascha B.
Ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen Sascha B. und seinen leiblichen Eltern besteht unstreitig nicht.
Der Kläger stellte am 03.07.1997 bei der Familienkasse des Beklagten einen Antrag auf Kindergeld für Sascha B. Er beantragte, das Kind als Pflegekind zu berücksichtigen. Der Kläger legte unter anderem eine Bescheinigung des Jugendamts vom 24.06.1997 über Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege nach §§ 27, 33 KJHG vor, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 6 der Kindergeldakte).
Der Beklagte lehnte den Antrag auf Kindergeld ab. Ein Pflegekindschaftsverhältnis gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG liege nicht vor, da ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band zwischen dem Kläger und Sascha B. nicht gegeben sei; Bescheid vom 20.08.1997.
Der Kläger legte Einspruch ein. Es liege ein Pflegekindschaftsverhältnis vor. Sascha B. sei siebzehn und hole einen Schulabschluß nach. Danach werde er eine Ausbildung beginnen. Deswegen könne man von einem auf längere Dauer berechneten Band zwischen ihm und Sascha B. ausgehen.
Das Jugendamt teilte dem Beklagten mit, es liege ein familienähnliches Band vor. Das Verbleiben bei dem Kläger sei bis zur Verselbständigung von Sascha B. geplant. Da Sascha B. „ein besonders entwicklungsverzögerter junger Mensch ist, der noch in erheblichem Umfang der erzieherischen Einflußnahme und Beaufsichtigung durch die Pflegefamilie bedarf, wird der Verselbständigungsprozeß noch einige Jahre in Anspruch nehmen.” Wegen der Einzelheiten wird auf die Schreiben des Jugendamtes vom 30.07.1997 und 04.09.1997, Bl. 9 f. und Bl. 22 f. der Kindergeldakte, Bezug genommen.
Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück. Es liege kein Pflegekindschaftsverhältnis vor. Zu einem familienfremden Kind, das ist erst kurz vor oder nach Eintritt der Volljährigkeit in den Haushalt aufgenommen werde, könne in der Regel kein Pflegekindschaftsverhältnis entstehen. Auch der zwischen dem Kläger und Sascha B. bestehende Altersunterschied spreche nicht für ein Eltern-Kind-Verhältnis, aus dem sich ein natürliches Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsverhältnis ergebe. Der Kläger sei zweiunddreißig Jahre alt und ledig. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 28.10.1997, Bl. 30 ff. der Kindergeldakte, Bezug genommen.
Der Kläger erhob Klage. Er habe Sascha B. in seinen Haushalt auf unbestimmte Zeit aufgenommen. Er habe nach dem KJHG in vollem Umfang seiner Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsmacht in allen persönlichen Angelegenheiten unterlegen. Er habe auch für den Naturalunterhalt, das heißt die Verpflegung, den Einkauf von Kleidung und weiteren Dingen des täglichen Bedarfs gesorgt. Er habe Sascha B. wie ein eigenes Kind betreut. Daß die Maßnahme wegen der erneuten Straffälligkeit des Sascha B. bereits im November 1997 als gescheitert und damit beendet gelte, könne nichts dara...