Entscheidungsstichwort (Thema)

Digitale Betriebsprüfung - Erstellen steuerrelevanter Unterlagen; Datenzugriffsrecht

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Der Tatbestand des "Erstellens von Unterlagen mittels eines Datenverarbeitungssystems" i.S.v. § 147 Abs. 6 Satz 1 AO erfasst nicht nur das originäre digitale Hervorbringen von Unterlagen, sondern auch das nachträgliche digitale Erfassen von Unterlagen zum Zwecke der Datenverarbeitung.

2) Bei einer elektronischen Aufbewahrung von Unterlagen ist der Steuerpflichtige gehalten, der Finanzverwaltung ein Datenzugriffsrecht einzuräumen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige die elektronisch gespeicherten Daten zusätzlich auch noch in Papierform (im Original oder in Kopie) vorhält und vorlegen kann.

3) Die Motive des Steuerpflichtigen zur digitalen Aufbewahrung von Unterlagen sowie der Umstand, dass neben den steuerlich relevanten Daten auch steuerlich irrelevante Daten aufbewahrt werden, sind in diesem Zusammenhang unbeachtlich.

4) Das Datenzugriffsrecht der Finanzverwaltung besteht grundsätzlich auch im Hinblick auf solche Unterlagen, die nicht vollständig oder korrekt archiviert worden sind.

 

Normenkette

AO § 147 Abs. 6, § 200 Abs. 1, § 147 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 09.02.2011; Aktenzeichen I B 151/10)

BFH (Beschluss vom 09.02.2011; Aktenzeichen I B 151/10)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin verpflichtet ist, den Mitarbeitern des Beklagten im Rahmen einer Außenprüfung einen Lesezugriff auf ihr Dokumentenmanagementsystem einzuräumen, um dort digitalisierte Eingangsrechnungen einsehen zu können.

Die Klägerin (Kl.) gehört einer Unternehmensgruppe (Konzern) an. Ihr Unternehmenszweck ist die Produktion von Stahl und Stahlerzeugnissen. Der Unternehmenssitz befindet sich in F. In S unterhält die Kl. ihre Produktionsstätte.

Der Beklagte (Bekl.) führt seit Mai 2009 im Auftrag des Finanzamts D III eine Betriebsprüfung bei der Kl. betreffend die Jahre 2004 bis 2007 durch. Die Prüfung findet in den Geschäftsräumen an der Produktionsstätte in S statt. Im Rahmen der Betriebsprüfung gewährte die Kl. den Betriebsprüfern sowohl direkten als auch indirekten Zugriff auf die von ihr unterhaltene digitale Buchführung. Die der Buchführung zugrunde liegenden Originalbelege sind am Unternehmenssitz der Kl. in F archiviert.

Im Zuge der Betriebsprüfung forderten die Betriebsprüfer die Kl. mehrfach zur Vorlage von Eingangsrechnungen auf, um – nach Aussage des Bekl. – zu klären, ob die in den Jahren 2006 und 2007 aufgewandten zweistelligen Millionenbeträge zutreffend als Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten aktiviert oder den Reparaturkosten zugeordnet worden sind. Die Eingangsrechnungen wurden von der Kl. aus dem Archiv in F herausgesucht und den Betriebsprüfern dann über die Geschäftsleitung der Kl. als Kopie nach einiger Zeit (anfangs einigen Wochen) zur Verfügung gestellt.

Die Kl. nutzt seit Mitte 2006 ein Dokumentenmanagementsystem. In diesem System werden Dokumente unterschiedlichster Art digitalisiert und verarbeitet. Auch ein Großteil (ca. 85 bis 90 %) der von der Kl. bezogenen Eingangsrechnungen findet Eingang in das System, in dem die Rechnungen mit einem Barcode versehen, gescannt und im System abgespeichert werden. Das Dokumentenmanagementsystem ist nutzerorientiert ausgestaltet; es ermöglicht unterschiedlichen Nutzern per Kennwort einen (beschränkten) Zugriff auf unterschiedliche Ebenen. Außerdem enthält es eine Suchfunktion (sog. Verschlagwortung).

Am 10.11.2009 baten die Betriebsprüfer die Vertreter der Kl. erstmals in mündlicher Form darum, den Zugriff auf die digitalisierten Eingangsrechnungen für den Zeitraum ab Mitte 2006 zuzulassen. Dadurch würde der aus Sicht der Betriebsprüfung erhebliche Zeitversatz zwischen Beleganforderung und Vorlage von Belegen verkürzt und das Verfahren für die Beteiligten vereinfacht. Nachdem die Kl. dieser Bitte nicht entsprach, fand am 26.11.2009 eine Besprechung zwischen der Betriebsprüfung und der Geschäftsleitung der Kl. statt. Im Rahmen dieser Besprechung baten die Betriebsprüfer erneut um die Einräumung eines Lesezugriffs auf die im Dokumentenmanagementsystem digitalisierten Eingangsrechnungen. Die Vertreter der Kl. äußerten, dass sie zur Einräumung eines entsprechenden Lesezugriffs nicht verpflichtet seien. Sämtliche Eingangsrechnungen seien im Original archiviert und würden auf Anforderung des Bekl. vorgelegt. Die im Dokumentenmanagementsystem eingescannten Belege seien dagegen unvollständig; daneben enthalte das System Unterlagen, die nicht steuerrelevant und mitunter datengeschützt seien (Zertifizierungen, Aktennotizen, Urlaubsanträge von Mitarbeitern etc.). Darüber hinaus sagten die Vertreter der Kl. den Betriebsprüfern jedoch zu, dass die Vorlage von angeforderten Unterlagen zukünftig schneller erfolgen und spätestens innerhalb von einer Woche erledigt werde. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Gesprächs wird auf den in den Verwaltungsakten befindlichen Vermerk verwiesen.

Mit Schreiben vom 30.11.2009 forderte der Bekl....

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