Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstige Bezüge, Scheinverträge, verschwiegene Einnahmen, Steuerhinterziehung, Vorsatz, Tatbestandsirrtum, keine Verpflichtung zur Selbstanklage, Verbotsirrtum, verlängerte Festsetzungsfrist
Leitsatz (redaktionell)
1) Zahlungen, die ein Steuerpflichtiger für einen zum Schein unterzeichneten Anstellungsvertrag, eine zum Schein unterzeichnete Betriebsleitererklärung sowie die Überlassung einer Kopie des Meisterbriefs erhält, sind als sonstige Bezüge i.S.v § 22 Nr. 3 EStG steuerpflichtig.
2) Zur Anwendung der verlängerten Festsetzungsfrist ist für die Feststellung einer Steuerhinterziehung nach § 370 AO kein höherer Grad an Gewissheit notwendig, als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die die Finanzbehörde die Feststellungslast trägt.
3) Das Verschweigen von Einnahmen ist aufgrund der aus der Unterschrift auf den Erklärungsvordrucken folgenden Behauptung der Vollständigkeit der Angaben in der Steuererklärung eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO.
4) Eine vorsätzliche Steuerhinterziehung begeht, wer im Sinne einer "Parallelwertung in der Laiensphäre" erkennt, dass er durch seine unvollständigen Angaben eine Steuerverkürzung bestimmten Umfangs bewirken kann.
5) Ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum i.S.v. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB liegt nur dann vor, wenn der Steuerpflichtige aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erkannt hat, dass seine Angaben unvollständig sein können bzw. dass ein Verkürzungserfolg eintreten kann.
6) Eine Verpflichtung zur Deklaration von Einnahmen, die aus einer strafbaren Handlung resultieren, ist nicht unter dem Gesichtspunkt suspendiert, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst anzuklagen oder sonst zur eigenen Überführung beizutragen ("nemo tenetur se ipsum accusare"), da es dem Steuerpflichtigen zugemutet werden kann, die Einnahmen mit einem ggf. niedrigerem Konkretisierungsgrad zu offenbaren.
7) Ein schuldausschließender Verbotsirrtum nach § 17 Satz 1 StGB ist nicht gegeben, wenn der Irrtum über das unrechtmäßige Verhalten durch Einholung fachlichen Rats vermieden werden kann.
Normenkette
AO § 169 Abs. 2 S. 2, § 370 Abs. 1 Nr. 1; StGB § 16 Abs. 1 S. 1, § 17 S. 1; EStG § 22 Nr. 3
Tatbestand
Streitig ist im Rahmen der Einkommensteuer-Festsetzungen für 2000 bis 2004, ob die streitbefangenen Scheckzahlungen an den Kläger der Einkommensteuer unterliegen und ob hinsichtlich der Einkommensteuer 2000 bis 2004 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
Der Kläger war in den Streitjahren ledig und wurde zur Einkommensteuer einzeln veranlagt. Er ist ausgebildeter … und …-meister. Seine Gesellenprüfung legte er 1997 und seine Meisterprüfung 2000 ab. Er erzielte in den Streitjahren als angestellter Geselle Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Ab Dezember 2000 bis März 2004 erhielt er zudem von der B. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Firma B.) mit Sitz in E. monatlich per Post Schecks über einen Betrag in Höhe von 1.200,– DM bzw. 613,55 EUR übersandt, die er jeweils auf seinem Konto einlöste. Die Höhe und der Zeitpunkt der dem Kläger zugeflossenen Beträge ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Schecks erhielt er aufgrund eines Kontakts zu der Firma B., bei dem ihm eine Bezahlung für die Überlassung seines Meisterbriefs angeboten worden ist. Die Firma B. bat ihn insoweit mit einem Anschreiben vom 28.09.2000, die beigefügten Formulare eines auf seinen Namen ausgestellten Anstellungsvertrags sowie eine auf seinen Namen ausgestellte sog. Betriebsleitererklärung an den gekennzeichneten Stellen zu unterschreiben und an sie zusammen mit einer Kopie seines Meisterbriefs zurück zu senden. Die Firma B. verwendete die von dem Kläger übersandten Unterlagen, was dem Kläger auch bekannt war, zur Vorlage bei den Krankenkassen, um eine Zulassung zur Abgabe von …-hilfen für eine weitere Betriebsstätte zu erhalten. Die Benennung eines Meisters als Betriebsleiter war seinerzeit zwingend erforderlich, um eine Zulassung für eine Betriebsstätte zu erhalten. Die Firma B. hatte insoweit gegenüber der Bundesknappschaft einen Betriebsleiterwechsel zum 01.08.2000 angezeigt und den Kläger als neuen Betriebsleiter angegeben. Daraufhin wurde der Firma B. durch die Bundesknappschaft mit Bescheinigung vom 19.01.2001 die Zulassung zur Abgabe von …-hilfen unter Angabe des Klägers als Betriebsleiter für die Betriebsstätte T.-strasse 01, N1. erteilt. Tatsächlich war der Kläger aber für die Firma nicht tätig bzw. hielt sich im streitbefangenen Zeitraum auch zu keinem Zeitpunkt in der Filiale in N1. oder in einer anderen Filiale der Firma B. auf.
Der Kläger reichte seine Einkommensteuer-Erklärungen für 2000 bis 2004 jeweils im Folgejahr beim Beklagten ein. Der Beklagte erließ unter dem 08.06.2001 (für 2000), 19.03.2002 (für 2001), 01.04.2003 (für 2002), 17.02.2004 (für 2003) und 27.04.2005 (für 2004) Einkommensteuer-Bescheide für 2000 bis 2004, in denen er erklärungsgemäß (nur) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erfasste.
Das Finanzamt E. übersandte dem Beklagt...