Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerfreiheit von Geldspielautomatenumsätzen, Emmott'sche Fristenhemmung; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Berufung auf das sog. "Emmott-Urteil" des EuGH bei Versäumung der Einspruchsfrist ist nicht möglich, denn der EuGH hat mehrfach klargestellt, dass der im Verfahren Emmott entwickelte Rechtsgrundsatz auf Fallkonstellationen der dort gegebenen Art beschränkt ist.

2. Ein bestandskräftiger Steuerbescheid ist - auch unter Berücksichtigung von Art. 10 EGV - nicht änderbar, wenn das nationale Recht hierfür, wie §§ 172 ff. AO, keine Rechtsgrundlage vorsieht.

3. Die Entscheidung über die Wiedereinsetzung ist keine Ermessensentscheidung. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, kommt - gerade auch bei Ablauf der Jahresfrist - eine Wiedereinsetzung aus Billigkeitsgründen nicht in Betracht.

 

Normenkette

EGV Art. 10; AO § 110 Abs. 3, § 355 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist die Änderung bestandskräftiger USt-Festsetzungen aufgrund der EuGH-Entscheidung zur Steuerfreiheit von Geldspielautomatenumsätzen.

Die Klägerin betrieb in den Streitjahren 2000 und 2001 eine Spielhalle und erzielte dabei u.a. Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit.

Der Beklagte erließ für die Streitjahre folgende USt-Bescheide (bei Erlass von mehreren Bescheiden für ein Streitjahr ist jeweils nur der zuletzt ergangene Bescheid aufgeführt), in denen die Einnahmen aus Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit der Umsatzsteuer unterworfen wurden:

Jahr

Abgabe der USt-Erklärung

Bescheid

festgesetzte USt

2000

27.11.2002

16.12.2004, V.d.N. aufgehoben

xxx EUR

2001

27.11.2002

08.04.2003 ohne V.d.N.

xxx EUR

Die Festsetzungen wurden bestandskräftig.

Nach Ergehen des EuGH-Urteils vom 17. Februar 2005 (Rs. C-453/02 und Rs. C-462/02 – Linneweber und Akritidis –, BFH/NV Beilage 2005, 94) legte die Klägerin mit Schreiben vom 17. März 2005 Einspruch gegen sämtliche seit dem 29. Juli 1999 ergangenen USt-Bescheide ein und beantragte, die Festsetzungen dahingehend zu ändern, dass Umsätze aus dem Betrieb von Glücksspielgeräten umsatzsteuerfrei zu belassen seien.

Zur Begründung führte sie aus, dass der Einspruch – unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 25. Juli 1991 Rs. C-208/90 – Emmott – (Slg. 1991, I-4269, HFR 1993, 137, UR 1993, 315) – zulässig sei, denn die Rechtsbehelfsfrist sei gehemmt, da Art. 13 Teil B Buchtst. f der 6. EG-RL nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden sei.

Bezüglich der Jahre 1999 bis 2001 verwarf der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2007 den Einspruch unter Hinweis auf die BFH-Urteile vom 23. November 2006 (V R 51/05, BStBl II 2007, 433 und V R 67/05, BStBl II 2007, 436) als unzulässig.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Festsetzung der USt für die Streitjahre 2000 und 2001 unter Beachtung der USt-Freiheit für Einnahmen aus Glücksspielen. Zur Begründung führt sie aus, dass ihr Einspruch als schlichter Änderungsantrag anzusehen sei und fügt entsprechend berichtigte USt-Erklärungen für die Streitjahre nebst Anlagen bei. Sie vertritt die Auffassung, dass die zu Unrecht erhobene Umsatzsteuer zurückzuerstatten sei.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2001 die angefochtenen USt-Festsetzungen 2000 und 2001 dahingehend zu ändern, dass die Umsätze aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit steuerfrei belassen und damit im Zusammenhang stehende Vorsteuern nicht berücksichtigt werden und entsprechend die USt 2000 auf xxx DM und die USt 2001 auf xxx DM festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass auch den im Klageverfahren gestellten Änderungsanträgen nicht entsprochen werden könne. Für das Kalenderjahr 2000 sei der Vorbehalt der Nachprüfung mit Bescheid vom 16. Dezember 2004 aufgehoben worden. Für das Kalenderjahr 2001 sei die Veranlagung mit Bescheid vom 8. April 2003 endgültig durchgeführt worden.

In der Sache ist am 13. August 2009 mündlich verhandelt worden. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

I. Die angefochtenen Bescheide sind nicht nichtig i.S.d. § 125 Abs. 1 AO.

Ein Verwaltungsakt ist gemäß § 125 Abs. 1 AO nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Nach § 125 Abs. 2 AO ist ein Verwaltungsakt z.B. nichtig, der die erlassende Finanzbehörde nicht erkennen lässt, den aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann, der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt oder der gegen die guten Sitten verstößt.

Von den in § 125 Abs. 2 AO genannten Fallgruppen ist im Streitfall keine einschlägig.

Ein Verstoß gegen materielles Steuerrecht begründet in der Regel keine Nichtigkeit (BFH-Beschluss vom 01.10.19...

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