Entscheidungsstichwort (Thema)
Heilung der sachlichen Unzuständigkeit des sog. Inkasso-Service
Leitsatz (redaktionell)
Die sachliche Unzuständigkeit des sog. Inkasso-Service bei Ablehnung eines Erlassantrags wird nicht dadurch geheilt, dass die sachlich und örtlich zuständige Familienkasse die Einspruchsentscheidung erlässt.
Normenkette
AO §§ 126-127, 16; FVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11; AO § 125
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Erlass von Beträgen, die sich aus der Rückforderung von überzahltem Kindergeld ergeben.
Die Familienkasse Nordrhein-Westfalen A hob mit Bescheid vom 04.07.2018 die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind T für den Zeitraum April 2016 bis Juli 2018 auf und forderte das überzahlte Kindergeld für diesen Zeitraum in Höhe von insgesamt 5.372,– EUR zurück.
Die Beklagte gab dem von der Klägerin am 09.07.2018 gestellten Antrag auf Erlass der Rückforderung mit Bescheid vom 29.05.2019 bezogen auf eine Teilforderung von 160,– EUR statt, lehnte den Antrag aber bezogen auf die weitere Forderung in Höhe von 5.212,– EUR ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus: Mit dem Antrag ziele die Klägerin hauptsächlich auf einen Erlass der Kindergeldforderung aufgrund sachlicher Unbilligkeit ab, da das Kindergeld auf die Sozialleistung angerechnet worden sei. Bei der Entscheidung über den Antrag sei jedoch auch das Verhalten des Kindergeldberechtigten mit abzuwägen. Nach den ihr vorliegenden Erkenntnissen beruhe die entstandene Überzahlung auf einer Verletzung der Mitteilungspflicht durch die Klägerin, weshalb der Erlass bezüglich der Teilforderung von 5.212,– EUR nicht in Betracht komme. Aus diesen Gründen lägen auch keine persönlichen Billigkeitsgründe vor. Eine Erlasswürdigkeit sei zu verneinen.
Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid am 26.06.2019 Einspruch ein, den die Familienkasse Nordrhein-Westfalen A mit Einspruchsentscheidung vom 13.08.2019 als unbegründet zurückwies.
Die Klägerin hat am 03.09.2019 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie unter anderem vor: Ihre Tochter sei während des Zeitraums April 2016 bis Juli 2018 ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht und sei beim Jobcenter I. ausbildungsplatzsuchend gemeldet gewesen. Darüber hinaus habe sie eine Eingliederungsvereinbarung unterzeichnet, die sie verpflichtete, monatlich fünf Bewerbungen schriftlich abzusenden. Ob und inwieweit ihre Tochter diesen Verpflichtungen tatsächlich nachgekommen sei, könne von ihr nicht beurteilt werden. Die Tochter sei volljährig gewesen und habe einen eigenen Haushalt geführt. Kontrollmöglichkeiten habe sie nicht gehabt. Zudem sei das Kindergeld bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II als Einkommen angesetzt worden. Eine nachträgliche Korrektur der Leistungen sei nicht mehr möglich. Ihr sei nicht bewusst gewesen, dass sie persönlich zur Rückzahlung von Kindergeld verpflichtet werden könne, welches auf Anordnung des Jobcenters I. an ihre Tochter weitergeleitet worden sei, um dort auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II angerechnet zu werden. Sie habe die Familienkasse gebeten, die Leistungen unmittelbar an die Tochter zu überweisen, was abgelehnt worden sei. Sie habe überhaupt keine Möglichkeit gehabt, sich gegen den jetzt eingetretenen Fall abzusichern. Eventuelle Kommunikationsschwierigkeiten zwischen der Familienkasse und dem Jobcenter I. seien nicht von ihr zu verantworten. Entgegen der Ausführungen in der Einspruchsentscheidung habe die angebliche Überzahlung auch nicht auf einer Verletzung der Mitwirkungspflicht beruht. Darüber hinaus bestehe auch ein persönlicher Billigkeitsgrund. Sie sei nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen nicht annäherungsweise in der Lage, die geltend gemachte Forderung zurück zu zahlen. Für den Fall der Zwangsvollstreckung müsste sie Privatinsolvenz anmelden. Der Hinweis auf die Pfändungsfreigrenzen sei obsolet. Diese schützten nur bei vorhandener Leistungsfähigkeit, die bei ihr aber nicht vorliege. Die Beklagte sei zu verpflichten, den Rückforderungsbetrag aus Billigkeit zu erlassen.
Das Klageverfahren ruhte im Hinblick auf das BFH-Verfahren III R 21/18 (vgl. BFH-Urteil vom 07.07.2021 III R 21/18, BFH/NV 2021, 1457).
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 29.05.2019 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 13.08.2019 aufzuheben,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und erwidert auf den richterlichen Hinweis: In materiell-rechtlicher Hinsicht bestehe eine Heilungsmöglichkeit nach § 126 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO), weil im Einspruchsverfahren die zuständige Familienkasse über den Einspruch entschieden habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen.
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