Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Billigkeitsmaßnahmen nach Ablehnung der Anwendung des § 3a EStG auf Sanierungserträge
Leitsatz (redaktionell)
Wenn das Finanzamt die abweichende Festsetzung der Einkommensteuer 2011 und auch die Stundung und den Erlass in Bezug auf Sanierungsgewinne bestandskräftig abgelehnt hat, ist es nicht ermessensfehlerhaft, einen Antrag auf Anwendung des § 3a EStG nach § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG abzulehnen. Denn die Möglichkeit der Anwendung des § 3a EStG auf Fälle, in denen die betreffenden Schulden vor dem 9.2.2017 erlassen wurden, ist zeitlich durch den Eintritt der Festsetzungsverjährung begrenzt.
Normenkette
AO §§ 47, 163, 222, 227; EStG §§ 3a, 52 Abs. 4a S. 3; AO § 5
Tatbestand
Streitig ist, ob die Möglichkeit, nach § 52 Abs. 4a Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Anwendung des § 3a EStG auf Schuldenerlasse vor dem 09.02.2017 zu beantragen, eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen rechtfertigt.
Die Kläger waren zu je 50 % Gesellschafter der X. OHG und bezogen als Mitunternehmer dieser Gesellschaft im Jahr 2011 (Streitjahr) Einkünfte aus Gewerbebetrieb, welche durch das Betriebsstätten-Finanzamt einheitlich und gesondert festgestellt wurden. Die X. OHG betrieb ….
In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr wies die X. OHG insgesamt einen Gewinn von 698.537 € aus, der je zur Hälfte auf die Kläger entfiel. Am 27.11.2014 beantragten die Kläger bei dem Beklagten eine abweichende Festsetzung der Einkommensteuer für 2011 gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO), hilfsweise Stundung und Erlass gemäß §§ 222, 227 AO entsprechend dem Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) vom 27.3.2003 (IV A 6-S 2140-8/03, Bundessteuerblatt –BStBl– I 2003, 240) für die Steuern, die auf einen Betrag von 328.596,21 € (Schuldenerlass durch Gläubiger in Höhe von 643.640,21 € ./. Verlustvortrag in Höhe von 315.044,00 €) entfielen, da es sich hierbei um einen Sanierungsgewinn i.S. des BMF-Schreibens handele. Der Beklagte lehnte diesen Antrag ab und wies die dagegen erhobenen Einsprüche als unbegründet zurück. Die daraufhin erhobene Klage vor dem Finanzgericht Münster (Az. 13 K 2520/16 AO) blieb erfolglos. Auf die Urteilsgründe wird verwiesen.
Die Kläger beantragten unter dem 11.09.2019 erneut die abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO und Stundung gemäß § 222 AO zu dem Bescheid für 2011 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 28.10.2014. Die gemäß § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG auf Antrag mögliche Anwendung des § 3a EStG wirke sich auf die Billigkeitsentscheidung des Beklagten aus.
Der Beklagte lehnte den Antrag der Kläger mit Bescheid vom 26.11.2019 ab. Die Voraussetzungen für einen Steuererlass seien nicht gegeben. Der Gesetzgeber habe das Antragswahlrecht des § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG nur auf die Anwendungsfälle seiner gesetzlichen Neuregelung, d.h. die „offenen” Steuerfestsetzungen und Feststellungen, beschränkt. Dieses Werturteil könne nicht durch Billigkeitsmaßnahmen der Finanzverwaltung korrigiert werden.
Den hiergegen gerichteten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 01.04.2020 als unbegründet zurück. Die Kläger könnten sich nicht darauf berufen, dass dem Rechtsgedanken des § 3a EStG folgend die Billigkeitsmaßnahme doch noch erreicht werden könne. Insbesondere sei keine Regelungslücke der Anwendungsregelung zu § 3a EStG anzunehmen. Der Gesetzgeber habe nicht beabsichtigt, dass bereits seit etlichen Jahren abgeschlossene und festsetzungs- bzw. feststellungsverjährte Veranlagungszeiträume an der gesetzlichen Neuregelung partizipierten.
Die Kläger haben daraufhin Klage erhoben.
Die auf Antrag mögliche Anwendbarkeit des § 3a EStG auf Fälle, in denen die Schulden vor dem 09.02.2017 erlassen worden seien, wirke sich auf die Billigkeitsentscheidung des Beklagten aus. Die Einziehung des Steueranspruchs bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des § 3a EStG sei deshalb sachlich unbillig, weil die Einziehung der Steuerbeträge nunmehr dem der gesetzlichen Regelung zugrundeliegenden Zweck widerspreche. Der Gesetzgeber sei mit der Ergänzung des § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG davon ausgegangen, dass er eine ausreichende Regelung getroffen habe, damit Steuerpflichtige in den Fällen, in denen der Schuldenerlass vor dem 09.02.2017 stattgefunden habe, bei Ablehnung der Annahme eines begünstigten Sanierungsertrages durch die Finanzverwaltung der Rechtsweg offen stehe. Dabei habe er übersehen, dass dies aus verfahrensrechtlichen Gründen häufig problematisch sein dürfte. Denn die damalige Verwaltungspraxis habe erst eine festgesetzte Steuer nachträglich erlassen, wohingegen über das Vorliegen eines Sanierungsertrags im Sinne des § 3a EStG nunmehr bereits zwingend im Festsetzungs- bzw. Feststellungsverfahren zu entscheiden sei. Hätte der Gesetzgeber die verfahrensrechtlichen Probleme gesehen, so hätte er eine entsprechende Regelung getroffen, nach welcher eine Überprüfung auch in den Fällen noch möglich sei, in denen...