Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweis des erstmaligen Zugangs eines Steuerbescheids
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Zugang eines mit der Post übermittelten Steuerbescheids muss nicht substanziiert bestritten werden; vielmehr hat die Finanzbehörde den Zugang des Steuerbescheids nachzuweisen, ohne dass die Grundsätze des Anscheinsbeweises gelten würden.
2. Wenn sich aus einer Auskunft des Rechenzentrums der Finanzverwaltung zweifelsfrei ergibt, dass der Einkommensteuerbescheid für 2016, dessen Erhalt der Steuerpflichtige bestreitet, zusammen mit dem ihm unstreitig zugegangenen Einkommensteuerbescheid für 2017 in einem und demselben Umschlag zur Post gegeben wurde und zudem die Zahllast aus dem Einkommensteuerbescheid für 2017 zeitgerecht und ohne vorherige Mahnung vom Steuerpflichtigen beglichen wurde, ist bewiesen, dass diesem auch der Einkommensteuerbescheid für 2016 zugegangen ist.
3. Es kommt nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige den maßgeblichen Bescheid zur Kenntnis genommen hat, ob dieser Bescheid auffindbar ist oder an den Steuerberater weitergeleitet wurde.
4. Die spätere Übergabe einer Kopie des maßgeblichen Steuerbescheids (hier: durch die Betriebsprüferin) dient nur der Information des Empfängers über ein bei den Akten befindliches Schriftstück und soll i.d.R. nicht die an die Bekanntgabe geknüpften Rechtsfolgen herbeiführen.
Normenkette
AO § 122 Abs. 2 Nr. 1, § 124 Abs. 1, § 355 Abs. 1 S. 1, § 122 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Streitig ist der Zeitpunkt des (erstmaligen) Zugangs des Einkommensteuerbescheids 2016 vom 05.08.2019.
Die Kläger sind Eheleute, die für das Jahr 2016 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die Klägerin erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Da die Kläger ihrer Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung für das Jahr 2016 nicht fristgerecht nachkamen, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen mit Einkommensteuerbescheid vom 27.04.2018. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN) i.S. des § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Mit Einkommensteuerbescheid vom 05.08.2019 hob der Beklagte den VdN auf. Mit Einkommensteuerbescheid ebenfalls vom 05.08.2019 schätze der Beklagte mangels Nichtabgabe der Steuererklärung die Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 2017 unter dem VdN. Die im Bescheid ausgewiesene Zahllast i. H. v. X € wurde fristgerecht bis zum 09.09.2019 durch die Kläger per Überweisung beglichen.
Am 09.03.2020 wurde gegen den Kläger ein Strafverfahren wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen 2016 und 2017 eingeleitet.
Mit Prüfungsanordnung vom 16.03.2020 ordnete der Beklagte beim Kläger die Durchführung einer Betriebsprüfung (BP) für die Veranlagungszeiträume 2015 bis 2017 (Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer) an. Im Rahmen der Checkliste Prüfungsvorbereitung hielt die Prüferin dabei fest, dass der VdN für das Jahr 2016 bereits aufgehoben worden, innerhalb der Einspruchsfrist aber keine Erklärung eingegangen sei. Ausweislich der vorliegenden Prüfungsakten standen die Gewerbesteuermessbescheide 2016 und 2017 bei Prüfungsbeginn unter dem VdN.
Am 10.06.2020 übermittelten die Kläger die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2016 digital an den Beklagten. Die Betriebsprüfung endete am 06.01.2021 mit einem Vermerk über eine ergebnislose Betriebsprüfung. Im Schreiben vom 19.01.2021 teilte die Betriebsprüferin dem Kläger mit, dass für den Prüfungszeitraum Bescheide unter dem VdN ergangen seien. Diese VdNs würden aufgehoben. Ein geänderter Bescheid zur Einkommensteuer 2016 erging nicht.
Am 09.02.2021 informierte der Beklagte den Steuerberater der Kläger telefonisch, dass eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 2016 nicht mehr möglich sei, da die Erklärung erst eingereicht worden sei, nachdem der VdN bereits aufgehoben gewesen sei. Mit Schreiben vom selben Tag übersandte die Betriebsprüferin den Klägern einen mit „Kopie” beschrifteten Ausdruck des Einkommensteuerbescheids 2016 vom 05.08.2019 sowie weitere Bescheide, die hier nicht mehr streitgegenständlich sind.
Hiergegen wandten sich die Kläger, vertreten durch ihren Steuerberater, mit Einspruch vom 10.03.2021 und trugen vor, der Einkommensteuerbescheid 2016 sei ihnen erstmals mit Schreiben vom 09.02.2021 bekanntgegeben worden. Mit Schreiben vom 09.04.2021 führte der Steuerberater ergänzend aus, dass der Einkommensteuerbescheid 2016 vom 05.08.2019 die Kläger nicht erreicht habe. Sämtliche Unterlagen des Beklagten würden durch die Kläger unverzüglich an den Steuerberater weitergeleitet. Der Einkommensteuerbescheid 2016 vom 05.08.2019 sei nicht weitergeleitet worden. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso der VdN vor Durchführung einer Außenprüfung aufgehoben worden sei. Die Übermittlung der Steuererklärungen sei auf Aufforderung der BP erfolgt. Es sei daher nach Aktenlage des Steuerberaters logisch gewesen, dass Gegenstand der BP die unter dem VdN stehenden Bescheide gewesen seien. Auch ein Schreiben vom 02.07.2020 sei bei den Klägern nicht eingegange...