Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wahrung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO bei unrichtig adressiertem Bescheid
Leitsatz (redaktionell)
Adressiert die den Bescheid erlassende Behörde diesen unzutreffend (hier: Angabe der falschen Postleitzahl), wird er aber aus im einzelnen nicht vollständig aufklärbaren Umständen durch das Zutun Dritter, z.B. zusätzliche Recherchen der Post, dem Inhaltsadressaten dennoch bekannt, so ist die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO nicht gewahrt.
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 1 S. 1; ErbStG § 9 Abs. 1, 1 Nr. 1, § 31 Abs. 1; AO 1977 § 122 Abs. 1, 1 S. 5, § 124 Abs. 1, § 169 Abs. 1, 1 Sätze 3, 3 Nr. 1, Abs. 2, § 170 Abs. 1-2
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
Die Klägerin (Klin.) ist mit ihrer Schwester Erbin nach dem im Juni 1991 verstorbenen Dr. G.. Eine nach Aufforderung durch den Bekl. erstellte und von der Klin. und ihrer Schwester unterzeichnete Erbschaftsteuer (ErbSt)-Erklärung ging dem Bekl. am 03.07.1992 zu. Durch Bescheid vom 25.08.1992 wurde gegen die Klin. ErbSt festgesetzt. Der Bescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, da der Wert einer Beteiligung des Erblassers aufgrund einer noch nicht durchgeführten Betriebsprüfung nicht endgültig ermittelt werden konnte. Einen gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruch begründete die Klin. nicht, so daß der Bekl. den Einspruch durch Einspruchsentscheidung (EE) vom 05.03.1993 als unbegründet zurückwies. In der EE wurde darauf hingewiesen, daß der Vorbehalt der Nachprüfung bestehen bleibt. Durch Bescheid vom 17.03.1993 änderte der Bekl. auf einen Antrag der Klin. die ErbSt-Festsetzung und setzte die ErbSt anderweitig fest. Auch dieser Bescheid enthielt den Hinweis, daß der Vorbehalt der Nachprüfung bestehen bleibt.
Der Bekl. bemühte sich in der Folgezeit, die Ergebnisse der Betriebsprüfung in Erfahrung zu bringen. Dies gelang jedoch bis zum 18.12.1996 nicht. Durch Bescheid vom 20.12.1996 beabsichtigte der Bekl. den ErbSt-Bescheid vom 25.08.1992 gem. § 165 Abs. 1 AO für vorläufig hinsichtlich des gemeinen Werts der Beteiligung zu erklären.
Der Bescheid vom 20.12.1996 war ursprünglich wie folgt adressiert:
„Frau …
H. e … straße 3
X000 A-Stadt”.
Die Postleitzahl X000 wurde nachträglich überschrieben. Die drei Nullen wurden mit Tippex übermalt. Auf die mit Tippex übermalte Fläche wurden die Ziffern 1145 vor die im Original erhaltene Ortsbezeichnung A-Stadt geschrieben. Unterhalb der überschriebenen Postleitzahl ist noch einmal die Postleitzahl X1145 vermerkt. Das „e” in …e … straße wurde geschwärzt. Der Bescheid wurde am 20.12.1996 mittels Postzustellungsurkunde zur Post gegeben. Die Postzustellungsurkunde enthält ebenfalls die Postleitzahl X1145. Der Klin. wurde der Bescheid durch Niederlegung am 08.01.1997 an ihrer Adresse … straße 3,X0935 A-Stadt zugestellt. Auf dem Umschlag, in dem der Bescheid vom 20.12.1996 zugestellt wurde, befindet sich im Adressfenster ein horizontaler Strich, etwa an der Stelle, wo die Postleitzahl zu lesen war. Darunter ist handschriftlich die – richtige – Postleitzahl X0935 angebracht. Auf dem Umschlag befindet sich ein Stempelaufdruck: „Wegen unrichtiger Postleitzahl wurde die Sendung verzögert.” Auf den der Klin. zugegangenen Bescheid, den Umschlag (in Hülle Bl. 49 der Prozeßakte) und die Postzustellungsurkunde (Bl. 101 der Steuerakte) wird verwiesen.
Auf der Bescheiddurchschrift, die sich in den Festsetzungsakten befindet, wurde die Postleitzahl „X000” in gleicher Weise überschrieben. Die dritte Ziffer – eine eins – wurde im Laufe des Rechtsbehelfsverfahrens durch einen Bediensteten des Finanzamtes entfernt. Ebenso die Übermalung mit Tippex. Unter der Übermalung ist zu erkennen, daß die erste und die zweite Ziffer nach der (X) eine null sind.
Den Einspruch gegen den Bescheid vom 20.12.1996 begründete die Klin. mit dem Ablauf der Festsetzungsfrist. Eine wirksame Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung habe nicht mehr erfolgen können. Der Vorbehalt der Nachprüfung sei mit Ablauf der Festsetzungsfrist am 31.12.1996 entfallen. Von einer rechtzeitigen Absendung des die Vorläufigkeit aussprechenden Bescheids gem. § 169 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 AO könne nicht gesprochen werden. Denn in jedem Fall setze die Absendung kurz vor Ablauf der Festsetzungsfrist voraus, daß ein vollständig und richtig adressierter Bescheid versandt werde. Das sei nicht der Fall gewesen. Die Adresse habe einen Schreibfehler enthalten. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Post den Bescheid dem Bekl. als unzustellbar zurückgeleitet habe und der Bekl. sodann zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt die ursprüngliche Postleitzahl X000 in die Postleitzahl X1145 geändert habe. Sei dies aber der Fall gewesen, könne nicht mit Sicherheit festgestellt werden, daß der so geänderte Bescheid den Bereich des Bekl. tatsächlich noch ...