Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtberücksichtigung einer Wertminderung im Zuzugsstaat i.S.v. § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG
Leitsatz (redaktionell)
1) § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG ist dahingehend auszulegen, dass zum Nachweis der „Nichtberücksichtigung” einer Wertminderung im Zuzugsstaat i.S.v. § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG die Berücksichtigung – durch Abgabe einer Steuererklärung – beantragt worden sein muss.
2) Der Begriff „Berücksichtigung der Wertminderung” ist in qualitativer Hinsicht weit auszulegen. Eine Berücksichtigung ist auch schon dann gegeben, wenn diese im Rahmen eines Verlustvortrags erfolgt. Hierbei reicht die abstrakte Möglichkeit der Verlustnutzung aus; eine konkrete/tatsächliche Minderung anderer Einkünfte in späteren VZ durch vollständige Nutzung/Aufbrauchen des Verlustvortrags ist nicht erforderlich.
3) Ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit liegt nicht vor.
Normenkette
AEUV Art. 49; AStG § 6 Abs. 6 S. 1
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Ablehnung der Änderung sowie die Ablehnung der abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen der Einkommensteuerfestsetzung 2012. In der Sache geht es um die Höhe der Festsetzung eines fiktiven Veräußerungsgewinns nach § 6 Außensteuergesetz (AStG).
Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr 2012 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger hielt 50% der Gesellschaftsanteile an der X GmbH, die Anschaffungskosten der Anteile hatten x € betragen. Im Jahr 2012 zogen die Kläger von Deutschland nach Österreich um, der gemeine Wert der Anteile betrug im Zeitpunkt des Wegzugs unstreitig y €.
Im Einkommensteuerbescheid 2012 vom 28.03.2014 (Bl. 92 f. der Einkommensteuerakte) setzte der Beklagte einen fiktiven Veräußerungsgewinn in Höhe von z € fest (y € – x €), wovon 40% nach dem Teileinkünfteverfahren gem. § 3 Nr. 40 Einkommensteuergesetz (EStG) als steuerfrei behandelt wurden. Der Beklagte stundete die festgesetzten Abgaben (Einkommensteuer, Kirchensteuer, Solidaritätszuschlag) nach § 6 Abs. 5 AStG zinslos und ohne Sicherheitsleistung.
Mit notariellem Kaufvertrag vom 18.07.2016 (Bl. 9 ff. der Vertragsakte) veräußerte der Kläger die Anteile für xy € an einen Dritten. Der Kaufpreis war dabei in 121 Raten, beginnend am 01.01.2017, zu zahlen. Die Wertminderung der Anteile war betrieblich bedingt.
Mit Bescheid vom 01.02.2017 widerrief der Beklagte gem. § 6 Abs. 5 Nr. 1 AStG die Stundung im Hinblick auf die Wegzugsteuer.
Mit Schreiben vom 17.02.2017 (Bl. 95 der Einkommensteuerakte) beantragten die Kläger die Änderung des Einkommensteuerbescheids 2012 nach § 175 Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung (AO) und beantragten zugleich die Zuflussbesteuerung im Hinblick auf die Kaufpreisraten für die Anteile.
Der Beklagte lehnte den Änderungsantrag mit Bescheid vom 03.03.2017 ab (Bl. 111 der Einkommensteuerakte).
Hiergegen legten die Kläger am 21.03.2017 Einspruch ein (Bl. 127 der Einkommensteuerakte). Nach § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG sei der ursprüngliche Steuerbescheid 2012 zu ändern, weil der dort erfasste Vermögenszuwachs nicht erzielt worden sei. Ferner sei das Wahlrecht auf Zuflussbesteuerung, die Rentenzahlungen als nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 17 EStG i.V.m. § 24 Nr. 2 EStG zu behandeln, anzuwenden (R 17 Abs. 7 Satz 2 EStR i.V.m. R 16 Abs. 11 EStR).
Am 19.05.2017 beantragten die Kläger einen Teilerlass der Wegzugsabgaben nach §§ 163, 227 AO.
Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 13.07.2017 ab (Bl. 25 R der Gerichtsakte, Bl. 123 der Einkommensteuerakte). Auch hiergegen legten die Kläger am 05.08.2017 Einspruch ein (Bl. 170 der Einkommensteuerakte). Zur Begründung trugen sie vor, dass die Regelungen über die Wegzugsbesteuerung zu einer unverhältnismäßig hohen Besteuerung führten, weil der Wert im Zeitpunkt der Veräußerung niedriger als im Zeitpunkt des Wegzugs sei. Der Kläger habe im Jahr 2016 keine Einkünfte erzielt, die in Österreich der Besteuerung unterlegen hätten. Da der Kläger lediglich Rentenbezüge erhalte, die nach dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA)-Österreich in Deutschland zu besteuern seien, und gesundheitlich nicht mehr in der Lage sei, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, gehe eine Berücksichtigung der Wertminderung durch Verlustvorträge in Österreich faktisch ins Leere. Auch liege eine persönliche Unbilligkeit vor. Zum Nachweis der Vermögensverhältnisse legten die Kläger eine Erklärung über die Feststellung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, Finanzübersichten, einen Grundbuchauszug und weitere Unterlagen vor, auf die wegen des Inhalts Bezug genommen wird (Bl. 176 der Einkommensteuerakte).
Mit Einspruchsentscheidung vom 02.10.2017 (Bl. 2 R der Gerichtsakte, Bl. 189 der Einkommensteuerakte) wies der Beklagte die beiden Einsprüche der Kläger gemeinsam als unbegründet zurück.
Eine Korrektur des Einkommensteuerbescheides 2012 nach § 6 Abs. 6 AStG i.V.m. § 175 Abs. 1 Satz 2 AO komme nicht in Betracht, da nicht alle Voraussetzungen des § 6 Abs. 6 AStG erfüll...