Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung der Prioritätsregel nach Art. 68 VO 883/2004 für ein in Polen lebendes Kind
Leitsatz (redaktionell)
1) Die Anwendung der Prioritätsregeln nach Art. 68 der VO 883/2004 setzt voraus, dass sich tatsächlich zwei Ansprüche nach widerstreitenden Rechtsvorschriften gegenüberstehen.
2) Wird im vorrangig zuständigen Mitgliedstaat für ein Kind tatsächlich keine dem Kindergeld vergleichbare Leistung erbracht, weil Einkommens- und Altersgrenzen hierfür überschritten werden oder andere Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, müssen die in dem anderen Mitgliedstaat nachrangig ausgelösten Ansprüche auf Familienleistungen erfüllt werden.
Normenkette
EStG § 63; AO § 8; EStG § 64 Abs. 2; VO 883/2004 Art. 67; DVO (EG) 987/2009 Art. 60; VO 883/2004 Art. 68; EStG § 62
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte die Festsetzung des Kindergelds für das Kind B für die (noch verbleibenden) Monate Januar sowie Oktober bis Dezember 2015, Januar bis Dezember 2016, Januar und Februar sowie Oktober bis Dezember 2017 und März bis April sowie August bis Dezember 2018 zu Recht gem. § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aufgehoben und in Höhe von insgesamt (noch verbleibenden) 5.350,00 EUR gem. § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zurückgefordert hat.
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger und war (jedenfalls) seit dem Jahr 2014 in Deutschland gewerblich tätig. Auf Antrag vom 24.5.2016 setzte die Beklagte mit Bescheid vom 27.6.2016 zugunsten des Klägers Kindergeld für dessen Sohn B, geb. am …2010, ab dem Monat Oktober 2014 bis April 2028 fest. Die Ehefrau des Klägers sowie das gemeinsame Kind B lebten in einem gemeinsamen Haushalt in Polen. Nach eigenen Angaben des Klägers war seine Ehefrau in Polen nicht erwerbstätig.
In seinem Kindergeldantrag gab der Kläger als inländische Wohnsitzadresse „…, C” an. Hierzu fügte er den entsprechenden Mietvertrag vom 1.7.2015 bei. Als Mietbeginn war ebenfalls der 1.7.2015 angegeben. Als weitere Nachweise für seinen inländischen Wohnsitz legte der Kläger die entsprechende Meldebescheinigung der Stadt C vom 23.7.2015 sowie eine vorhergehende Meldebescheinigung der Stadt D vom 15.10.2014 vor, wonach der Kläger seinen Wohnsitz vorher unter der Adresse „…, D” gemeldet hatte.
Nach eigenen Angaben war der Kläger bereits seit den letzten fünf Jahren vor Antragstellung als Trockenbauer in Deutschland selbständig erwerbstätig. Hierzu meldete der Kläger ausweislich der vorliegenden Gewerbeanmeldungen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, folgende Gewerbe in Deutschland an:
„GbR X, A und X, E”, …, D, Datum des Beginns der angemeldeten Tätigkeit: 16.10.2014;
„GbR X und X”, …, C, Datum des Beginns der angemeldeten Tätigkeit: 23.7.2015;
„GbR Y und X”, …, D, Datum des Beginns der angemeldeten Tätigkeit: 1.10.2015;
X, A, …, C, Datum des Beginns der angemeldeten Tätigkeit: 13.1.2017.
Laut Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 29.1.2016 erzielte der Kläger im Jahr 2014 Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 6.456,00 EUR. Laut Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 10.12.2018 wurden dem Kläger für 2015 Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 33.472,00 EUR zugerechnet. Hierauf entfielen Einkommensteuer i.H.v. 1.198,00 EUR, Zinsen zur Einkommensteuer i.H.v. 115,00 EUR sowie Kirchensteuer i.H.v. 247,32 EUR. Laut Einkommensteuerbescheid 2016 vom 10.12.2018 wurden dem Kläger für 2016 Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 15.896,00 EUR zugewiesen. Laut vorläufiger Gewinnermittlung erzielte der Kläger in 2017 einen Gewinn aus Gewerbebetrieb i.H.v. 18.591,00 EUR. Im Zeitraum vom 3.11.2011 bis 25.9.2015 war der Kläger nach eigenen Angaben zudem unter der Firma „Z A X” in Polen gewerblich tätig. Hieraus erzielte er laut Bescheinigung EU/EWR der polnischen Steuerbehörden im Jahr 2015 Einkünfte i.H.v. 3.062,82 PLN, die in Polen der Besteuerung unterlagen. Im Zeitraum vom 1.10.2016 bis 12.1.2017 war der Kläger nach eigenen Angaben arbeitsuchend.
Mit Bescheinigung vom 1.4.2016 bestätigte das polnische Zentrum für Sozialhilfe, dass der Kläger für die Streitzeiträume weder einen Antrag auf Familienleistung für seinen Sohn B gestellt noch derartige Leistungen in Polen bezogen hat.
Im Rahmen der fortlaufenden Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug deutschen Kindergelds forderte die Beklagte insbesondere Nachweise über den Umfang der Steuerpflicht des Klägers in Deutschland für die Jahre 2015 bis 2018 an. Die hierauf zum Nachweis seiner inländischen Erwerbstätigkeit übersandten Unterlagen, insbesondere den Bescheid für 2015 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die „X und X GbR” vom 23.8.2017, den Bescheid für 2016 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die „GbR Y und X”, die vorläufige Gewinnermittlung des Klägers als Einzelgewerbetreibender im Zeitraum vom 1.1.2017 bis 30.9.2017 sowie diverse Ausgangsrechnungen mit Leistungsbeschreibung für Leis...